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Ein großer Sieg der Demokratie

Spitzenspiel Bayern München muss verlieren lernen. Das 1:3 bei Borussia Mönchengladbach hat gezeigt, mit welchen Methoden moderner Teamführung der Sowieso-Meister bezwungen werden kann

Chapeau! Mit seiner Niederlage kehrt der FC Bayern in die taz-Liga-Berichterstattung zurück Foto: Bernd Thissen/dpa

Aus Mönchengladbach Andreas Morbach

Pep Guardiola war soeben mit wehendem Jackett aus dem Borussia-Park gestürmt, da schlurf­te Franck Ribéry um die Ecke. Als wolle er allen die Scham über das 1:3 in Mönchengladbach demonstrieren, schlug er die Kapuze seiner Trainingsjacke über den Kopf. Ribéry sah nun aus wie ein etwas grimmiges Rotkäppchen mit hochgekrempelter Hose, und so marschierte der 32-Jährige die Treppen hinauf zum Mannschaftsbus.

Mit der ersten Saisonniederlage war es für den Spitzenreiter ohnehin schon ein sehr spezieller Nachmittag gewesen. Umso mehr aber für Ribéry, der seine rätselhafte Sprunggelenkverletzung überwunden hat, erstmals seit neun Monaten wieder im Bayern-Kader stand und sechs Minuten nach seiner Einwechslung prompt den einzigen Treffer der Guardiola-Elf markierte. Sportvorstand Matthias Sammer würdigte ihn: „In der zweiten Halbzeit war er der einzige Lichtblick bei uns.“

Herausforderer Gladbach hatte da deutlich mehr Highlights zu bieten. Zum Beispiel Oscar Wendt. Der blonde Schwede referierte nach dem Spiel gerade über Borussias Systemänderung, als Kollege Ibrahima Traoré auf ihn zukam und ihn umarmte – einer jener Mitspieler, deren Verletzungen die neue Taktik mit veranlasst hatten. Wegen der vielen Ausfälle auf den Außenbahnen baute Trainer André Schubert um. Gewachsen war die Idee dazu sieben Tage zuvor in Hoffenheim, als Borussia einen 1:3-Rückstand zum 3:3 hinbog – via 3-5-2-Formation. „Dort haben wir die letzten Minuten auch schon so gespielt. Wir wussten nicht, dass es gleich so gut klappen würde, und sind jetzt einfach froh, eine weitere Option zu haben“, kommentierte Fabian Johnson.

Auf Anhieb funktionierte der Versuch mit drei Innenverteidigern allerdings nicht, speziell der 19-jährige Nico Elvedi sah vor der Pause kaum etwas von seinem Gegenspieler Kingsley Coman. „Der kam immer wieder mit 800 Stundenkilometern auf ihn zu, daran musst du dich erst mal gewöhnen. Später hat er das dann sehr kühl gespielt und war in der zweiten Halbzeit einer von 22 Profis auf dem Platz“, lobte Schubert Elvedis Entwicklungssprung.

Bayern reagierte auf das erste Gegentor durch Wendt (54.) dankenswerterweise unorganisiert und lud die Borussia zu den schnellen Treffern durch Stindl und Johnson regelrecht ein. „Wir müssen lernen, dass Rückschläge zu einem Spiel dazugehören. Drei Gegentore – das haben wir nicht nötig“, nörgelte Sammer. „Vier Mann hinten, vier oder fünf vorne, kein Mittelfeld. Wir haben die Kontrolle verloren“, meinte auch Guar­diola kopfschüttelnd.

Das war die eine Seite. Die andere war die gelebte Demokratie in Mönchengladbach. Denn offene Türen rannte Schubert, der seit seinem Amtsantritt im September nun mehr Punkte geholt hat als Pep Guardiola im vergleichbaren Zeitraum, mit seiner Idee vom 3-5-2 nicht ein. „Es gab da zwei, drei unterschiedliche Meinungen. Aber wenn’s so aufgeht, können wir gerne noch mal drüber reden“, erzählte Kapitän Granit Xhaka.

„Wir haben in der Halbzeit mit der Mannschaft noch mal über das System gesprochen. Die Spieler sagten: ‚Nee, das passt, wir müssen nur ein bisschen was anders machen‘ “ , berichtete Schubert – nachdem sein Personal die Kabinengespräche durch mutigeres, offensiveres Spiel in der zweiten Hälfte perfekt umgesetzt hatte.

Schubert holte seit September mehr Punkte als Pep Guardiola in dieser Zeit

Geübt habe man das Ganze unter der Woche vor allem theo­retisch, verriet der 30-jährige Wendt, durch die Umstellung vom Außenverteidiger zum Flügelstürmer geworden. „Er vertraut uns sehr stark – und wir vertrauen ihm. Das passt zwischen uns“, betonte der Skandinavier und erklärte dann: „Wir wollten die Bayern ein bisschen überraschen, zudem unsere Stärken nutzen. Und jetzt muss man sagen – das war ein guter Schachzug des Trainers.“

Dabei hängt André Schubert gar nicht so sehr an der 3-5-2-Variante. „Es ist ein sehr gutes System, eines von vielen. Mir geht es um die Idee“, betonte der 44-Jährige. Und auch sein Kapitän hatte etwas zu betonen. Denn, so Xhaka: „Für viele ist dieses 3:1 eine Sensation. Für mich nicht.“

Das weiter aufgepumpte Selbstbewusstsein nehmen die Gladbacher nun mit nach Manchester. Mit einem Sieg am Dienstag bei den Citizens ist ihnen das Überwintern in der Europa League sicher. „Wir fahren da hin, um etwas zu holen, wollen im nächsten Jahr alle europäisch spielen“, berichtete Oscar Wendt, der im Übrigen der Ansicht ist: „Wir hätten das auch verdient.“

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