Urteil gegen „Zwölf Stämme“: „Rutenhiebe auf das Gesäß“

Ein Exlehrer der Sekte wird wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Das Gericht sieht die gewalttätigen Praktiken belegt.

Menschen stehen mit einem Plakat auf einer Straße.

Prozess als Werbeplattform: Unterstützer des Angeklagten vor dem Amtsgericht in Nördlingen. Foto: dpa

NÖRDLINGEN taz | Auf den ersten Blick denkt man an einen Schülerausflug. Doch es hat einen anderen Grund, warum an diesem Novembermorgen so viele Jugendliche als Zuschauer im Saal E des Amtsgerichts Nördlingen sitzen: Sie gehören zu den „Zwölf Stämmen“, einer umstrittenen christlich-fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft, die Gewalt als Erziehungsmaßnahme propagiert.

Die Jugendlichen tragen grüne Latzhosen, geblümte Hemden und selbstgestrickte Pullover, die Haare strubbelig, die Backen rot. Ihre erwachsenen Glaubensbürger haben zauselige Bärte, genauso wie der nun für schuldig befundene 54-jährige Klaus H.

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der ehemalige Lehrer H. seinen damaligen 14-jährigen Schüler Christian R. vor neun Jahren geschlagen hat. H. wird dafür zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt.

Eine „Weiden- oder Haselnussrute“ soll sich H. vor der Tat im Gebüsch gepflückt und zurechtgestutzt haben, um den Jungen „mit starker Kraft auf das mit Unterhose bekleidete Gesäß mindestens fünf Mal aus nicht aufklärbarem Anlasse bei einer Mühle in Klosterzimmern geschlagen haben“, begründet die Richterin das Urteil.

Die „Zwölf Stämme“ inszenieren sich gern als verfolgte Religionsgruppe

Zuvor hatte H.s Verteidiger versucht, R. zu diskreditieren: „Wer die ganze Zeit durch Talkshows tingelt, der sollte dann auch hier sein Wissen kundtun.“ Die Richterin bezeichnet R. dagegen als glaubwürdig und begründete etwa R.s mangelnde Erinnerung damit, dass man sich, wenn man öfters geschlagen würde, schlechter erinnern könne, als wenn es nur einmal passiert sei.

Zugute hielt die Richterin ihm auch, dass er als Zeuge fehlenden „Belastungseifer“ an den Tag gelegt habe, etwa, als er die Intensität der Schläge nur vage beschrieben habe. Er hätte schließlich auch äußeren können, „H. habe volle Kanne durchgezogen, wenn er eine Verurteilung gewollt hätte“, so die Richterin.

Die „Zwölf Stämme“ inszenieren sich gern als verfolgte Religionsgruppe. Besonders, weil aktuell noch Sorgerechtsverfahren laufen, nachdem die Polizei im September 2013 rund 40 Kinder aus „Zwölf Stämme“-Familien in Bayern entzogen hat. Bei einem Umzug in Nördlingen im Mai liefen Anhänger mit einem Transparent mit, das den Nördlinger Amtsgerichtsdirektor Helmut Beyschlag in die Nähe der Judenverfolgung rückte. Beyschlag hat Anzeige erstattet.

Auch dieses Mal nutzt die Sekte den Prozess als Werbeplattform. Nach dem Urteil hissen Mitglieder vor dem Amtsgericht ein Transparent: „Wir Zwölf Stämme verlassen Deutschland“, steht drauf. Ein Großteil der Gruppe ist nach Tschechien ausgewandert oder hat das vor.

Am Ende stimmt ein Posaunenchor der Sekte „Macht hoch die Tür“ an. Darin heißt es: „Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat. Er ist gerecht, ein Helfer wert. Sanftmütigkeit ist sein Gefährt.“ Zu beherzigen scheinen die religiösen Eiferer das, was sie da singen, nicht.

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