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Mit Wasserwaage auf der Kamera

Jubliäum Die Foto-Agentur Ostkreuz feiert mit einer Ausstellung in Paris ihr 25-Jähriges. Und eine Doku kommt in die Kinos

Der Anfang liegt lange zurück: Anfang 1990 hatte es in Paris eine Großausstellung mit 200 Künstlern aus der Gegen- bzw. Nebenkultur der DDR gegeben. Sie hieß „Das andere Deutschland – außerhalb der Mauern“. Der DOK-Filmer Gerd Kroske hatte darüber einen Film („La Villette“) gedreht. Die Fotografen Harald Hauswald, Ute und Werner Mahler waren auch da gewesen und hatten mit Ost-Kollegen die Fotoagentur Ostkreuz gegründet, auch um der drohenden Vereinzelung zu entgehen. Das Vorbild war Magnum. Im November 2015 feiert die Agentur mit einer Retrospektive an zwei Pariser Ausstellungsorten ihren 25. Geburtstag. Und außerdem kommt der Dokumentarfilm „Ostkreuz“ von Maik Reichert in die Kinos, in dem der junge Regisseur (Jahrgang 1984) die Agentur, für die 18 Fotografen arbeiten, porträtiert.

Der Film ist angenehm entspannt, nimmt sich Zeit, ist musikalisch geschnitten und auch nicht ganz so voll gequatscht wie andere Dokumentationen.

Die Mitbegründer Ute und Werner Mahler erinnern sich. Man sieht sie bei der Arbeit mit Großbildkameras. Sie arbeiten so akribisch wie Filmregisseure, teils mit Wasserwaage auf der Kamera oder auch einer Nackenstütze, damit der zu Fotografierende gerade sitzt.

In die verstecktesten Ecken

Harald Hauswald, der 1997 schon mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war, denkt zurück an die Zeit, als er als Telegrammbote arbeitete und so die verstecktesten Ecken in Prenzlauer Berg kennenlernte. Mit seinem Zopf sieht er aus wie ein netter, alter Hippie. Er sagt, die Straßenfotografie sei eine typische DDR-Nische gewesen. Und zitiert den Dichter Lutz Rathenow, mit dem er mehrere Bücher gemacht hatte: „Wir haben die Regierung gehasst, aber die Leute gemocht.“ Man erinnert sich an seine klassischen Schwarz-Weiß-Bilder und ist erstaunt, dass seine Farbfotografien aus der DDR schon fast surrealistisch wirken.

Man sieht den aus Frankreich stammenden Maurice Weiss beim Fotografieren und Duzen von Politikern.

Arbeiten unterschiedlicher Ostkreuz-Fotografen werden gezeigt: Annette Hauschilds Roma-Fotografien, Demo-Bilder von Julian Röder, der früher Kommunist war und mit seinen Fotos auch Werbung machen wollte für die Anliegen der Demonstranten. Bilder von Linn Schröder, die sich selbst, ihren eigenen Körper, ihre Brustkrebserkrankung, ihre Schwangerschaft, thematisierte.

Gauck und der Baum

Es gibt Bilder verschiedener Ausstellungseröffnungen, zum Beispiel im Haus der Kulturen der Welt. In meiner Lieblingsszene kommt Bundespräsident Gauck zu Besuch. Ganz begeistert geht er mit dem Zeigefinger auf ein großformatiges Bild los und sagt: „Kann man sich ja gar nicht ausdenken, diesen Baum hier, den schon nicht und dann noch den.“

25 Jahre sind eine lange Zeit. Manche der Ostkreuzler sind gestorben, wie etwa die Fotografin Sibylle Bergemann, an die der Film übrigens sehr schön erinnert. Von den Gründungsmitgliedern sind nur noch drei dabei. Die Zeiten sind auch für Fotografen schwerer geworden, und man ist ein bisschen erstaunt, dass eine Agentur, die so bekannt ist, überhaupt finanzielle Probleme hat.

Detlef Kuhlbrodt

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