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„Immer wieder abwertend“

GLEICHSTELLUNG Opfer homophober Gewalt erstatten oft aus Angst vor Diskriminierung keine Anzeige, sagt der Polizist Sven Rottenberg. Er will versuchen, das zu ändern

Der neue „Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ bei der Polizei Bremen: Sven Rottenberg  Foto: Simone Schnase

INTERVIEW Simone Schnase

taz: Herr Rottenberg, Sie sind als „Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ nicht nur Anlaufstelle für Opfer homophober Gewalt, sondern auch für Ihre KollegInnen. Wie ausgeprägt ist Homophobie bei der Polizei?

Sven Rottenberg:Sie ist zumindest da. Um zu schauen, ob nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen die Notwendigkeit für einen Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen sehen, hat unser Polizeipräsident sie befragt – mit einem Ergebnis, das ich bereits vermutet hatte: Ein paar lesbische Kolleginnen haben sich gemeldet und gesagt, sie selbst hätten keine größeren Probleme, auch wenn sie auf der Arbeit nicht allzu offensiv mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen, dass sie aber glaubten, homosexuelle Männer hätten bei der Polizei durchaus Probleme. Es hat dann auch kein einziger Schwuler an der Befragung teilgenommen, obwohl ich weiß, dass es hier mehrere gibt.

Was ist der Grund dafür, dass Frauen sich bei der Polizei eher outen als Männer?

Frauen sind meiner Erfahrung nach toleranter als Männer und Männer haben keine Angst vor homosexuellen Frauen: Lesben sind ja oft Teil heterosexueller Männerfantasien. Wenn es um Schwule geht, kennt man hingegen diese Sprüche: Mit dem kann ich ja nicht zusammen duschen gehen oder so was. Ich habe mich allerdings während meiner Ausbildung an der Hochschule geoutet und bis heute solche expliziten Sprüche von Kollegen nicht gehört. Da kam dann eher die Frage danach, ob man mit mir denn auch über Fußball reden kann. Die Angst vor Diskriminierung scheint allerdings sehr groß zu sein und auch die Angst davor, berufliche Nachteile zu bekommen. Aber auch das kann ich nicht bestätigen.

Wie erklären Sie sich dann die Ängste?

Das hat sicher etwas mit der Alltagssprache zu tun. Ein heterosexueller Kollege, der sich an der Befragung beteiligt hat, hat genau darauf aufmerksam gemacht: Das Wort „schwul“ wird im normalen Umgang immer wieder abwertend gebraucht, so ähnlich wie „Warmduscher“ oder Ähnliches. Das ist eigentlich immer eher witzig und flapsig gemeint, aber wenn das jemand, der kurz vorm Outing ist, ständig hört, erleichtert ihm das diesen Schritt ganz bestimmt nicht. Dumme Sprüche ernten lesbische Kolleginnen übrigens auch, das haben mir einige berichtet. Diese Sachen lassen sich eigentlich immer schnell im direkten Gespräch klären, weil sie nicht böse gemeint sind, aber Ziel sollte ja sein, dass sie gar nicht erst gesagt werden.

Welche Erfahrungen machen Opfer homophober Gewalt mit der Polizei?

Viele gehen nicht zur Polizei, weil sie Angst vor Diskriminierung haben oder sie geben deswegen bei der Anzeige ihre sexuelle Orientierung nicht an, obwohl sie für den Tathintergrund wichtig wäre. Manche fühlen sich von der Polizei nicht ernst genommen, obwohl sie deutlich einen homophoben Hintergrund der Tat genannt haben. Man geht von einer Dunkelziffer von 80 Prozent bei Verbrechen mit einem homophoben Hintergrund aus – 80 Prozent der Taten werden also nicht angezeigt.

Was bedeutet das für Bremen?

Ich habe im Rahmen der Konzeptentwicklung für die Stelle des Ansprechpartners unsere Unterlagen über Straftaten dazu ausgewertet. Das konnte, da wir grundsätzlich sensible Informationen über sexuelle Ausrichtungen von Geschädigten nicht speichern, nur anhand von Suchbegriffen wie „schwul“ oder „gay“ in den Kurzbeschreibungen der Fälle erfolgen. Nur anhand dieser ziemlich groben Recherche bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass es im Jahr 2013 ungefähr zwanzig homophob motivierte Straftaten in Bremen gab. Zusätzlich ist vermutlich von dem bereits angesprochenen erheblichen Dunkelfeld auszugehen. Das ist meines Erachtens schon recht viel.

Wie wollen Sie dagegen angehen?

Als offizielle Beschwerdestelle sehe ich mich nicht und möchte das auch nicht sein. Ich würde auch nicht in der internen Ermittlung arbeiten wollen. Ich sehe mich eher als Mittler. Ich versuche, die Kollegen zu sensibilisieren. Ich gehe in die Klassen der Polizeistudenten, stelle mich dort vor und erzähle, was ich mache. Ich konfrontiere sie damit, dass es auch bei der Polizei Schwule und Lesben gibt. Und ich plane, am Ende ihrer Ausbildung noch einmal dorthin zu gehen und über ihre Erfahrungen zu reden. Denn das Thema wird bei der Polizei in weiten Teilen vernachlässigt und auch bei der Ausbildung nur ganz kurz erwähnt.

Was können Sie für Opfer homophober Gewalt tun?

Ich kann Ihnen erst einmal sagen, dass ich da bin. Ich habe eine Mailadresse und ein Diensthandy, über die mich jeder kontaktieren kann, der sich ansonsten scheuen würde, zur Polizei zu gehen. Ich arbeite mich außerdem gerade durch die Strafprozessordnung, weil viele Opfer oder auch Zeugen homophober Gewalt nicht wollen, dass ihre Partner davon erfahren.

Aus welchen Gründen wollen sie das nicht?

Es gibt beispielsweise gar nicht so wenige heterosexuelle, verheiratete Männer, die heimlich einschlägige Schwulentreffs aufsuchen und nicht wollen, dass ihre Ehefrauen davon erfahren. Da kann man natürlich sagen, mit solch einem Doppelleben müssen die schon selbst klarkommen, aber wir wollen ja nicht, dass deswegen Straftaten ungesühnt bleiben. Es gibt in der Strafprozessordnung beispielsweise einen Passus, dass es bei sogenannten besonderen Lebensumständen für Zeugen und teilweise auch für Opfer die Möglichkeit gibt, vertraulicher aussagen zu können als normalerweise vorgeschrieben.

Sven Rottenberg

38, ist Polizeikommissar im Streifendienst bei der Polizei Bremen und als „Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ erreichbar unter agl@polizei.bremen.de oder telefonisch unter 01522 2969685.

Und ein solches Doppelleben gehört zu diesen Umständen?

Das kann ich noch nicht sagen, da arbeite ich mich gerade noch rein. Zeugenschutzprogramme, wie man sie im Bereich der organisierten Kriminalität kennt, gelten hier bestimmt nicht, aber wenn jemand beispielsweise Angst davor hat, dass Post von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft an seine private Adresse geschickt wird, müsste doch eigentlich die Möglichkeit eröffnet werden, dass er sich diese Post an eine andere Adresse schicken lässt. Solche kleinen Maßnahmen können ja manchmal schon reichen. Eine Prüfung solcher Möglichkeiten wird auf meine Anregung hin demnächst zwischen den Leitungen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft Bremen erörtert.

Wie stehen denn Ihre KollegInnen bei der Polizei zu Ihrem neuen Job?

Insgesamt positiv. Allerdings bin ich zu 25 Prozent dafür freigestellt – und das stößt hier und da auf ein bisschen Missmut, weil wir bei der Bremer Polizei ohnehin viel zu knapp besetzt sind. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass der Personalrat der Stelle erst einmal nur für ein Jahr zugestimmt hat.

Was entgegnen Sie der Kritik?

Dass diese 25 Prozent durch meinen Job um ein Vielfaches wieder reingeholt werden können: Wer Angst hat, sich zu outen, schleppt das mit sich herum und ist in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Wer über mögliche Diskriminierungen nicht redet, auch. Das kann bis hin zum Burnout gehen und dann ist dieser Kollege für lange Zeit krank. Wenn man das künftig verhindern kann, haben wir ein Vielfaches meiner 25 Prozent hinzugewonnen.

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