Ernährung

Wurst und Schinken sind laut Internationaler Krebsforschungsagentur (IARC) mitverantwortlich für das Entstehen von Darmkrebs

Das Risiko steigt mit der Menge

Krebs Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass weltweit jedes Jahr 34.000 Menschen sterben, weil sie zu viel verarbeitetes Fleisch gegessen haben

Fleisch: Es kommt darauf an, was man daraus macht Foto: Werner Dieterich/ Westend61/ plainpicture

von Jost Maurin

BERLIN taz | Jetzt sind es nicht irgendwelche Veganer, die vor Fleisch warnen – sondern Wissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation WHO: Deren Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) hat verarbeitetes Fleisch wie Würstchen, Schinken oder Speck als „krebserregend“ eingestuft. Schon 50 Gramm am Tag erhöhten das Risiko bösartiger Tumoren im Darm um 18 Prozent, so die IARC am Montag.

Unverarbeitetes rotes Fleisch – etwa vom Rind, Schwein oder Schaf – beurteilt die Agentur lediglich als „wahrscheinlich krebs­erregend“, weil die Datenlage nicht ganz so deutlich ist wie für Fleischerzeugnisse. Doch auch das ist noch die zweithöchste der fünf WHO-Kategorien für Krebsgefahren.

Die IARC ist eine der ersten Adressen weltweit, wenn es darum geht, Substanzen auf ihr Krebspotenzial zu untersuchen. Sie wertet alle öffentlich zugänglichen relevanten Studien aus, ihre Fachleute gelten als besonders unabhängig von Branchen, die von den IARC-Einstufungen betroffen sind. Daher haben die aktuellen Ergebnisse mehr Gewicht als frühere Einzelstudien, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Krebs festgestellt hatten.

Für die Einstufung haben die 22 WHO-Experten mehr als 800 Untersuchungen aus mehreren Ländern und Kontinenten analysiert, vor allem epidemiologische Studien, bei denen der Gesundheitszustand und die Ernährung großer Gruppen verglichen wurden. Ergebnis: Wer mehr verarbeitetes Fleisch aß, entwickelte häufiger Tumoren.

Diesen Zusammenhang fanden die Forscher in verschiedenen Untersuchungen, Bevölkerungsgruppen und Staaten mit unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten. Es sei unwahrscheinlich, dass die Resultate durch Zufall, mangelnde Neu­tralität der Wissenschaftler oder andere Störfaktoren zustande gekommen seien.

Bei unverarbeitetem roten Fleisch dagegen konnten die Wissenschaftler diese möglichen Verzerrungen nicht mit derselben Gewissheit ausschließen. Allerdings fanden sie „starke“ Hinweise dafür, dass rotes Fleisch Mechanismen im Körper auslöst, die Krebs entstehen lassen können.

Schon 50-Gramm am Tag erhöhen laut IARC das Risiko bösartiger Tumoren im Darm um 18 Prozent

Warum genau Fleisch Tumoren verursacht, ist laut IARC noch nicht völlig geklärt. Bekannt ist aber, dass beim Haltbarmachen durch Pökeln oder Räuchern krebserregende Substanzen entstehen.

Die Tragweite der Einschätzung ist groß: Weltweit sterben laut WHO 34.000 Menschen jedes Jahr, weil sie zu viel verarbeitetes Fleisch gegessen haben. Je nach Land essen 2 bis 65 Prozent der Bevölkerung verarbeitetes Fleisch und 5 bis 100 Prozent unverarbeites rotes Fleisch. Die Fleischindustrie und ihr Zulieferer, die Landwirtschaft, machen Milliardenumsätze.

Doch was bedeutet die Warnung für die Verbraucher? „Für die einzelne Person bleibt das Risiko gering, wegen des Konsums von verarbeitetem Fleisch Darmkrebs zu entwickeln“, sagt Kurt Straif, der die für die Krebseinstufungen zuständige „Monografien“-Abteilung der Agentur leitet. Zigarettenrauchen erhöhe das Risiko für Lungenkrebs um mehr als 1.000 Prozent. Die vorliegenden Daten erlaubten es aber nicht, eine Fleischdosis zu definieren, die sicher ist. Fest stehe nur: „Das Risiko steigt mit der Menge.“

Also gar kein verarbeitetes oder rotes Fleisch mehr konsumieren? „Fleisch essen hat Vorteile für die Gesundheit“, so die IARC. Es liefert das lebenswichtige Eisen und Vitamin B12, das für Hirnentwicklung und -funktion unabdingbar ist. Derartige Nährstoffe enthalten aber auch pflanzliche Lebensmittel und Milchprodukte.

Wer dagegen vegan lebt, also auch auf Milch und alle anderen tierischen Nahrungsmittel verzichtet, muss Vitamin B12 künstlich zuführen, etwa durch Tabletten oder angereicherte Lebensmittel. „Man muss sehr gut Bescheid wissen, um Mangelerscheinungen zu vermeiden“, so Professor Bernhard Watzl vom bundeseigenen Max-Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel.

Watzl hält bis zu 500 Gramm Fleisch pro Woche für ungefährlich „wenn man viel Obst, Gemüse, Salate isst“ – denn die enthielten Stoffe, die das Krebsrisiko mindern. Die renommierte Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt seit Jahren, „nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche“ zu essen.

Derzeit verschlingen die Deutschen aber sehr viel mehr: Männer kommen laut DGE auf 1.092 Gramm pro Woche. „Die Leute müssen weniger Fleisch essen“, fordert Watzl – nicht nur wegen Krebs, sondern weil zu viel Fleisch ebenso Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen könne.

Kritik an der IARC-Einstufung kommt vom Krebsforscher und Medizinnobelpreisträger Harald zur Hausen. Ihm ist das Urteil zu pauschal. „Die Evidenz spricht sehr dafür, dass das Rindfleisch eine spezifische Rolle spielt“, so zur Hausen. Schweine, Lämmer oder Ziegen könnten unschuldig am Krebs sein. „Man sollte gezielt Untersuchungen über die Fleischarten starten.“

Das North American Meat Institute, eine Lobbyorganisation der US-Fleischindustrie, wirft der IARC vor, mit alten, aussageschwachen und unzuverlässigen Daten gearbeitet zu haben. „Sie haben die Daten gefoltert, um ein bestimmtes Ergebnis sicherzustellen.“