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Beseelte Wesen

Der Puppenbauer Karl Schlarb liebt Mode und Literatur. In seinem Kreuzberger Atelierladen baut er sonderbar lebendige Puppen. Schriftsteller wie Virginia Woolf und Franz Kafka und Popgrößen wie Björk sitzen hier in Miniatur zusammen, mit präzise modellierten weißen Köpfen und extravaganten Kleidern

von Wibke Bergemann

Es sind lange, elegante Wesen. Sie sitzen auf einem Sideboard, auf Kisten oder auf einem Liegestuhl. Im Schaufenster haben eine Dame und ein Herr an einem gedeckten Teetischchen Platz genommen. Zwei andere liegen in einer Glaskugel wie in einer Seifenblase, die mit dem nächsten Windzug davonschweben könnte. Das Atelier von Karl Schlarb ist eine Zauberwelt, bewohnt von den von ihm gebauten Puppen.

Der 48-Jährige sieht aus wie der Zaubermeister persönlich: spitze Nase, spitzes Kinn, ein schmaler Schnurrbart, die schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden. Fast immer trägt er ein Tuch um den Hals, sorgfältig gebunden. Und fast immer lächelt er – er ist ein freundlicher Zauberer: „Ich habe eine Schnittstelle gesucht zwischen Mode und Literatur.“ Mit den Puppen hat er die beiden Themen in seinem Leben zusammengeführt.

Jetzt sitzen hier große Schriftsteller in Miniatur beieinander: Goethe, Heinrich Heine, der mit Marlene Dietrich zu plaudern scheint, etwas abseits Thomas Mann. Ihre Köpfe sind leicht zu erkennen. Doch Schlarb geht es um mehr als den historischen Nachbau. Bei ihm trägt Franz Kafka zum schwarzen Anzug eine große Op-Art-Schleife, der Overall von Marlene Dietrich ist nicht genäht, sondern – ganz dekonstruktivistisch – aus einem Seidentuch drapiert und festgesteckt. Und Heinrich Heine hat eine Kette um den Hals. „Die passte einfach zu dem weißen Hemd“, erklärt Schlarb. „Heinrich Heine war ein Frauenheld. Bei mir dagegen ist er eher androgyn.“

Auch einige Musikerpuppen sitzen hier: Björk mit zwei Kringeldutts auf dem Kopf, David Bowie im schillernden türkisfarben Mantel, und Laurie Anderson, die eine puschelige, kleine Perücke bekommt.

Das Atelier von Schlarb im Kreuzberger Bergmannkiez ist zugleich Laden, Werkstatt und Wohnzimmer. Oft ist Besuch da. Den Kaffee serviert Karl Schlarb in zarten Porzellantassen mit Unterteller und passendem Zuckertöpfchen. Auf dem Arbeitstisch liegt ein weißes Tischtuch. Alles hat Stil bei Schlarb. Sogar die alte Nähmaschine, auf der er die Puppenkleider näht: Es ist eine Pfaff aus dem Jahr 1958. Der Motor ist kaputt, aber das stört Schlarb nicht: Er näht lieber mit Pedalbetrieb. Auf der Nähmaschine hat schon seine Tante Erna für den kleinen Karl und dessen Schwester jedes Jahr die Faschingskostüme genäht, damals in den 70ger Jahren in einem kleinen Ort in der Pfalz.

Mit 23 Jahren, im Januar 1990, kommt Karl Schlarb nach Berlin. Zum einen, um am Lette-Verein Modedesign zu studieren. „Außerdem dachte ich, warum sollte ich in Karlsruhe tanzen, wenn ich in Berlin tanzen könnte?“ Der junge Modestudent stürzt sich ins Nachtleben des Wendeberlins und hat hier sein Coming-out.

Die Modewelt fasziniert ihn

Und immer wieder reist er nach Paris, um die Haute-Couture-Schauen zu sehen, so viele wie möglich in wenigen Tagen. Stets ohne Eintrittskarte: „Ich habe freundlich am Eingang ausgeharrt, ketterauchend. Wenn am Ende noch ein Platz frei war, durfte ich rein.“ Bei Chanel landet er auf diese Weise sogar in der ersten Reihe. Einmal spricht er Catherine Deneuve vor dem Eingang an. Die hatte zufällig zwei Karten und nimmt ihn prompt mit.

Die Modewelt fasziniert Karl Schlarb. „Ich war so naiv“, sagt er heute. Und sie stellt sich als eine geschlossene Welt heraus, in die es ihm nicht gelingt, als Modedesigner hinein zu kommen.

Deshalb verkauft Karl Schlarb ein paar Jahre lang Designermode in einer Boutique am Hackeschen Markt. Ein Job mit hohem Promifaktor. „Es waren wilde Jahre“, sagt er: „immer neue Kollektionen, immer neue Sensationen, nie eine Sättigung.“ Er sei sich vorgekommen wie eine Figur in einem Roman von Jean Cocteau, völlig überdreht.

Nach vier Jahren ist er ausgebrannt. Er macht eine Therapie und gesteht sich ein, dass der Modehype ihn nicht erfüllt. Mit 33 Jahren zieht sich Karl Schlarb aus der Modewelt zurück und beginnt in einer Buchhandlung zu arbeiten, ein modernes Antiquariat in Mitte – „einer der schönsten Buchläden in Berlin“, wie er findet. Er selbst ist einer der besten Kunden. In diesen Jahren füllt sich eine riesige Bücherwand in seiner Wohnung, darin Elias Canetti, André Gide, Kafka. „Man fällt völlig aus der Zeit, weil man ja bestimmt ein Dreivierteljahr mit einem Werk beschäftigt ist.“

Doch nach neun Jahren in der Buchhandlung kommen ihm erneut Zweifel. „Ich wollte nicht immer nur für andere arbeiten. Ich wollte etwas Eigenes schaffen, mein Werk.“ Schlarb entdeckt Räume im verträumten Fachwerkhof einer Hofgemeinschaft von Künstlern und Kunsthandwerkern in der Solmsstraße. Das Arbeitsamt gibt ihm einen Existenzgründerzuschuss und seine Vermieterin ihr Vertrauen. So beginnt Karl Schlarb im Jahr 2010 seine Puppen zu entwickeln.

Deren Köpfe modelliert Schlarb zuerst aus Ton, dann fertigt er eine Gussform aus Silikon an, die er mit Kunstharz ausgießt. Anschließend werden die Köpfe weiß lackiert. Die Struktur des Tons gibt ihnen eine rauere Oberfläche als etwa Porzellanpuppen. Doch ihre Gesichtszüge sind fein genug, um die bekannten Persönlichkeiten zu erkennen.

Auch die Baumwollkörper stellt Schlarb selbst her. Ihre langen, dünnen Gliedmaßen sind mit Sand und Styropor gefüllt. So können sie aufrecht sitzen. „Oder Yoga machen“, sagt Schlarb. Er wollte keine Marionetten bauen, die erschlaffen, wenn sie nicht gespielt werden. „Ich wollte Puppen, die anwesend sind.“

„Die Hälfte meiner Kunden hat sich noch nie mit Puppen beschäftigt“

Karl Schlarb

Mindestens 15 Stunden dauert die Anfertigung einer einfachen Figur, für die Künstlerpuppen mit anspruchsvoller Garderobe braucht er deutlich länger. Doch inzwischen verkauft er genug, um davon zu leben. „Ich habe es geschafft: Ich kann von der Arbeit meiner Hände leben.“

Sein Traum ist, die literarischen Figuren aus seinen Lieblingsromanen wie dem „Zauberberg“ von Thomas Mann als Puppen zu bauen und mit einer entsprechenden Garderobe auszustatten. Doch diese Idee hat er erst einmal beiseitegeschoben. Zu aufwendig und für normale Kunde unbezahlbar, erklärt er. Nun will er für das Projekt einen Verlag finden, um mit den Puppen Bücher zu illustrieren. Und – warum nicht? – auch als App für Tablet- Computer. „Während man ein Hörbuch hört, könnte man Szene für Szene interaktiv die Garderobe der Figuren wechseln“, erklärt Schlarb seine Idee.

Im Zwiegespräch

Viele Kunden, die in seinen Laden kommen, suchen einfach ein schönes Wohnaccessoire. Am besten verkaufen sich die abstrakten Puppen mit ihren einfachen, stilisierten Gesichtern. Sie kosten mit 250 Euro halb so viel wie die anderen.

„Die Hälfte der Käufer hat sich noch nie mit Puppen beschäftigt“, sagt Schlarb. Doch zu Hause fingen viele an, mit der Puppe im Regal zu spielen und sogar innerhalb der Familie über die Puppe zu kommunizieren. Dann sitze die Puppe manchmal ganz traurig da, manchmal fröhlich, erzählt Schlarb. Oder sie verschwinde plötzlich und tauche in einem anderen Zimmer wieder auf, wo vielleicht mal aufgeräumt werden müsste. „Die Puppen sind beseelt“, sagt Schlarb fast ohne Ironie. Er ist überzeugt: „Die ältere Dame, die sich Virgina Woolf gekauft hat, um sie sich zu Hause aufs Klavier zu setzen, die spricht auch mit ihr.“

Er selbst fühlt sich wohl zwischen den von ihm gestalteten Wesen: „Sie haben keinen Hunger, hören immer aufmerksam zu und sind ganz brav.“ Und nein, reden tue er nicht mit ihnen. „Aber es gibt so Momente, wenn ich alleine bin und Nietzsche neben Marlene Dietrich sehe. Dann denke ich, jetzt ist es kurz davor, dass die Puppen miteinander reden.“

Karl Schlarbs Atelierladen „Allahopp“ befindet sich im Fachwerkhof in der Solmsstraße im Bergmannkiez. Weitere Informationen im Internet unter www.allahopppuppen.de

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