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Auf der Jagd nach einem Rennfahrer

Sportfilm "The Program – Um jeden Preis" von Stephen Frears erzählt den Dopingfall von Lance Armstrong nach

Heute scheint es fast so weit weg wie die Kanzlerschaft von Gerhard Schröder, aber tatsächlich gab es eine Zeit, in der man Partys sprengen konnte mit der Bemerkung, Lance Arm­strong würde dopen. Augenblicklich formierten sich zwei Fronten, die sich mit Nahost-Konflikt-haftiger Unversöhnlichkeit gegenüberstanden. Wer der Doping-Theorie anhing, galt als Erfolgsneider. Schließlich sei Armstrong der „am meisten getestete Athlet der Welt“ und noch nie positiv getestet worden. Es klang so logisch – bis sich mit Armstrongs Geständnis alles erledigte. Genauso gut hätte man argumentieren können, der Mond als der „meist besuchte Planet“ sei doch bewohnbar.

Den Ausdruck vom „am meisten getestetem Athleten“ hat Armstrong selbst geprägt. Es ist eines der wenigen Dinge, die aus „The Program – Um jeden Preis“, Stephen Frears’Verfilmung des Falles, im Gedächtnis bleiben. Wie Ben Foster, der Armstrong als verbissenen, aber nicht unsympathischen Wadenbeißer und Kämpfer verkörpert, den Mythos des „meist getestet“ zuerst als effektvolle Pressekonferenz-Rhetorik in die Welt setzt und schließlich selbst dran glaubt. Und wie das zur Zentralreligion im ganzen Radsport wird: Solange man nicht positiv getestet ist, hat man auch nicht gedopt.

Ansonsten hakt der Film so trocken die Fakten ab, dass den Zuschauern kaum Freiraum bleibt für Interpretation. Was schade ist, denn nun, nachdem die Schuldfrage geklärt ist, sind es doch vor allem die Fragen nach dem Warum, die interessieren. Was hat Armstrong zum Betrug angetrieben – blinder Ehrgeiz oder ein allmähliches Verzerren der Perspektive? Ein sich Hineinsteigern in die „Machbarkeit“ des eigenen Körpers? Wie konnte er glauben, durchzukommen, auch noch bei seinem Comeback?

Statt Auslegungen anzudeuten und Situationen dramatisch auszuschmücken folgt „The Program“ im Wesentlichen der Vorlage des irischen Journalisten David Walsh, der über 13 Jahre hinweg versucht hat, Armstrong des Dopings zu überführen. Und so wie Walsh, der stets bemüht war, nie zu viel zu spekulieren, nicht zuletzt weil er von Arm­strong mit Klagen überzogen wurde (und dabei auch manch bittere Niederlage wegstecken musste), so geht auch der Film nie über den gesicherten Rahmen des Wikipedia-Eintrags hinaus.

Dieser sachliche Ansatz von Buch und Regie erzeugt eigenartige Reibungen mit dem sichtlichen Willen der Darsteller, ihren Figuren eine gewisse Dreidimensionalität zu verleihen. So gelingt es Ben Foster fast, gegen das staubtrockene Drehbuch seinen Armstrong mit einer gequälten Innerlichkeit auszustatten, die ihm zwar die Stärke verleiht in harten krebskranken Stunden nicht zu verzweifeln, die aber zur Obsession wird, sobald er sich aufs Rennrad setzt.

Er kann nicht mehr lügen

Und Jesse Plemons, der in „Brea­king Bad“ so furchterregend Ruchlosigkeit und Unschuld mischen konnte, spielt hier Floyd Landis anrührend als loyalen Teamkollegen, der irgendwann nicht mehr lügen kann. Chris O’Dowd müht sich dagegen ziemlich vergebens ab, seinem Journalisten in der Verfolgerrolle interessante Aspekte abzugewinnen, und Guillaume Canet lässt in der Rolle des zentralen Bösewichts der Geschichte, des Sportdoktors und Dopingspezialisten Michele Ferrari, kein Italienerklischee aus, vom schmierigen Akzent über die Dauerbräune bis zur Sonnenbrille.

Dustin Hoffmans Auftritt als Versicherer, der Armstrong verklagen will, ist kaum mehr als ein Cameo. Bei so viel taktischer Fehlkalkulation und Schauspiel­energieverschwendung kann es nicht verwundern, dass auch die aufwendig nachgestellten Radrennszenen nie die nötige Intensität bekommen. Man versteht schließlich gar nicht mehr, warum die Frage, ob Armstrong gedopt hat, je die Gemüter so erregte. Barbara Schweizerhof

„The Program“. Regie: Stephen Frears. Mit Ben Foster, Chris O’Dowd u. a. Groß­britannien 2015, 103 Min.

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