piwik no script img

Heimspiel für Merkel

Bundestag Verschärfung des Asylrechts durchgewunken. Auch die Kritiker der Kanzlerin sind leiser als sonst – mit Ausnahme von Horst Seehofer. Der fordert in München wieder einmal die Einrichtung von Transitzonen

Forderte am Donnerstag erneut Solidarität in Europa ein: Kanzlerin Angela Merkel Foto: Markus Schreiber/ap

Aus Berlin Anja Maier

Wohl wahr, es liegt aktuell manches im Argen in diesem Land. Aber es stimmt dann doch irgendwie froh, dass Hans-Peter Friedrich nicht mehr Bundesinnenminister ist. Der Frak­tions­vize der Union nutzte am Donnerstag im Parlament die Aussprache über das neue Asylgesetz, um kräftig Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Diese bezeichnete Friedrich als Bedrohung für Deutschland und Europa. Jeder Staat müsse deshalb das Recht haben, sein Gebiet zu schützen. Gelinge dies nicht, „dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, um wieder unsere nationalen deutschen Grenzen zu schützen“.

Im Duktus näherte sich der CSU-Politiker damit weitgehend seinem Parteichef an. Denn im selben Moment, in dem Angela Merkel am Donnerstag morgen in Berlin mit ihrer Regierungserklärung begann, hob auch in München Horst Seehofer zu einer Regierungserklärung an. Darin keilte er kräftig Richtung Berlin. „Niemand anders ist für Zuwanderungs- und Aufenthaltsrecht zuständig als der Bund“, sagte Seehofer. „Dafür wird Bayern nicht die politische Verantwortung übernehmen.“ Abermals drängte Seehofer auf die Einrichtung sogenannter Transitzonen an der deutschen Außengrenze. „Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir als staatliche Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern“, rief er.

Zumindest was Europas Verantwortung betrifft, war Seehofer sich einig mit der Kanzlerin. Merkel warb im Bundestag für das Gesetzespaket. Vor allem aber stellte sie die Verantwortung Europas in der Flüchtlingsfrage heraus. Beim Europäischen Rat in Brüssel sollte am Donnerstag und Freitag eine Strategie beraten werden. „Abschottung ist im 21. Jahrhundert eine Illusion“, sagte Merkel in ihrer Rede. Gleichwohl müsse Europa seine Außengrenzen besser sichern.

Sie forderte ein Europa, „das sich solidarisch verhält“. Gesamteuropäische Herausforderungen dürften nicht zu Problemen einzelner Mitglieder erklärt werden. Den Schalter, den man nur umlegen müsse, um alle Probleme zu lösen, gebe es nicht. „Es ist nicht übertrieben, diese Aufgabe als eine historische Bewährungsprobe Europas zu bezeichnen“, sagte Merkel.

„Abschottung ist im 21. Jahrhundert eine Illusion“

Angela Merkel, Kanzlerin

Die allermeisten Unionsabgeordneten applaudierten der „Chefin“, wie Merkel genannt wird. Auch Cemile Giousouf, Integrationsbeauftragte ihrer Fraktion, zeigte sich anschließend zufrieden. Binnen kürzester Zeit habe die Regierungs­koalition das an diesem Tag zu beschließende Gesetzespaket auf den Weg gebracht, lobte Giou­souf. „Das wird sich positiv auswirken. Es werden aber sicher auch weitere Schritte folgen.“

Genau das hatte auch Merkel in ihrer Regierungserklärung gesagt. Die Kanzlerin steht innerhalb der eigenen Fraktion unter erheblichem Druck. Kritiker werfen ihr vor, sie selbst habe die Flüchtlinge nach Deutschland eingeladen. Giou­souf widerspricht: Die Flüchtlingsfrage sei eine riesige politische Herausforderung, „völlig selbstverständlich, dass hier auch kontrovers diskutiert wird. Alle wissen: Es gibt da keine einfachen Antworten.“ Dass sie dies einräume, mache Merkel „authentisch“.

Ganz anders sah das die Linke. Deren Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht hielt ihre erste Rede in dieser neuen Funktion. Im Plenum brach daraufhin ein derartiges Gerenne und Geschwätz aus, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) „ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, auch auf der Regierungsbank“ forderte.

Wagenknecht warf der Bundesregierung „eklatantes Staatsversagen“ in der Flüchtlingskrise vor. Auch die hundertste Wiederholung des „Wir schaffen das“-Mantras helfe dem Bürgermeister vor Ort nicht, wenn er nur den Mangel zu verwalten habe. Nicht erst seit die Flüchtlinge ins Land kämen, fehlten bezahlbare Wohnungen. „Jetzt werden Probleme ins Extremste verschärft“, wetterte Wagenknecht. In einem reichen Land wie Deutschland müsse man nun den Mut haben, „das Geld bei den Reichen zu holen“.

Keilen in Richtung Berlin: CSU-Parteichef Horst Seehofer Foto: Andreas Gebert/dpa

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann forderte in seiner Rede, dass aus „Wir schaffen das“ nun ein „Wir machen das“ werden müsse. Oppermann nahm Bezug auf die von Merkel angekündigten weiteren Gesetzesvorhaben. „Wir wollen auch bessere Kontrollen an der Grenze“, sagte er. „Aber Grenzhaft­lager für Tausende von Flüchtlingen, das wird mit uns nicht zu machen sein.“ Auch eine von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in die Diskussion gebrachte Kürzung von Hartz-IV-Zahlungen an Flüchtlinge lehnte Oppermann ab.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte Merkels Kritiker in der Unionsfraktion auf, endlich „aus der Angstecke“ zu kommen. Merkels „Wir schaffen das“ sei „absolut christlich“. Göring-Eckardt sagte, es sei wichtig, auf die Sorgen der Bürger einzugehen. „Aber wir sollten nicht Ängste und Neid verstärken.“ Der rechte Mob müsse mit seiner Angstmache an den Rand gedrängt werden. „Wenn wir uns zum Anwalt der Angst machen (...), dann haben wir als politische Klasse in der Tat ein großes Problem.“

Ebendiese politische Klasse winkte schließlich das Asyl­paket durch. In namentlicher Abstimmung votierten 475 Abgeordnete dafür. 68 Parlamentarier stimmten dagegen, 57 enthielten sich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen