: Die israelische Diaspora feiert
BEGEGNUNG Pianist und Komponist Ohad Ben-Ari hat in Berlin ein Kulturfestival für israelische Künstler, die in Deutschland leben, ins Leben gerufen – am Wochenende feiert es im Radialsystem seine Premiere
von Katharina Granzin
Dass es in Berlin eine wachsende, mittlerweile gut etablierte exil-israelische Community gibt, ist kein neues Phänomen, ebenso wenig die Tatsache, dass überproportional viele Kulturschaffende darunter sind. Ein Festival aber, das in Deutschland lebende israelischstämmige KünsterlInnen aller Bereiche gleichzeitig vorstellt, das gab es bisher noch nicht.
Die Ursprungsidee, sagt Pianist und Komponist Ohad Ben-Ari, sei schon seit ein paar Jahren in seinem Kopf herumgespukt. Ben-Ari hat einst in Deutschland studiert, lebte danach viele Jahre in den USA und nun ist seit 2010 Berlin sein Lebensmittelpunkt. Eine Zeitlang habe er sich häufig in der Kantine der Philharmonie aufgehalten, erzählt er, wegen gemeinsamer Projekte mit Guy Braunstein, dem ehemaligen ersten Geiger der Philharmoniker.
„Diese Kantine ist für viele Musiker der Ort, wo man sich in Berlin begegnet“, sagt er – fast alle wichtigen Orchester treten hier regelmäßig auf. Überrascht habe er beim Kantinentalk festgestellt, erzählt Ben-Ari, wie viele Musiker, die wie er aus Israel stammen und die er zu einem Großteil sogar kannte, mittlerweile in Berlin und anderen deutschen Großstädten leben. „Irgendwann begann ich im Stillen mit der Idee zu spielen, ein Orchester nur mit israelischen Musikern zu bilden, die in Deutschland leben.“
Als er schließlich so weit war, für diese Idee nach finanzieller Unterstützung zu suchen, rannte er offene Türen ein. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse, den Ben-Ari persönlich kennt und der Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestags ist, regte gleich an, es nicht bei einem Konzert zu belassen, sondern aus dem Projekt ein richtiges Kulturfestival zu machen. „Ich kannte mich zwar nur in der Musik aus und hatte sonst keine Ahnung“, lacht Ohad Ben-Ari. Aber als er sich auf die Suche machte, sei er geradezu überwältigt gewesen von dem hohen künstlerischen Niveau, auf dem israelische Künstler aller Sparten in Deutschland arbeiten.
So umfasst das ID-Festival nunmehr praktisch alle Aspekte künstlerischen Schaffens, Musik, bildende Kunst, Theater, Tanz und Film. Auch der intellektuelle Überbau kommt nicht zu kurz. An allen drei Festivaltagen empfangen die Philosophen Ofri Ilani und Elad Lapidot verschiedene Gäste zum „Philosophischen Cabaret“, bei dem in äußerlich legerer Form, inhaltlich aber hart an der Sache über kulturelle und gesellschaftliche Fragen, insbesondere bezogen auf das deutsch-israelische Verhältnis, diskutiert werden soll.
Ebenfalls an allen drei Tagen wird das Theaterstück „I know I’m ugly but I glitter in the dark“ von Sivan Ben Yishai gegeben, das eigens für das Festival entstanden ist und das insofern übergreifenden Charakter hat, als es in inhaltlich und ästhetisch provokanter Weise die menschliche Kommunikation und Identität im digitalen Zeitalter verhandelt. Die zweite Theaterproduktion „Save Your Love – Part I“, eine postmoderne Berliner Liebesgeschichte, wurde bereits auf einem Theaterfestival in Jerusalem gezeigt und kehrt nun an den Ort seiner Entstehung und seiner Handlung zurück.
Sicher wird das Eröffnungskonzert mit dem ID-Festival-Sinfonieorchester unter der Leitung von Guy Braunstein der glanzvolle Höhepunkt der drei Tage im Radialsystem sein. Das Programm umfasst Werke von Vivaldi, Puccini, Gounod und anderen etablierten Größen des klassischen Konzertrepertoires, aber auch ein Stück des aus Ungarn stammenden Komponisten Ödön Pártos, der 1937 nach Israel emigrierte und eine wichtige Rolle beim Aufbau des israelischen Kulturlebens spielte. „Wir wollten ein nicht so schweres Programm machen“, erklärt Ohad Ben-Ari.
Einen Komponisten wie Pártos dabei zu haben sei aber wichtig, da er stellvertretend für all jene stehe, die einst die europäische Kultur nach Israel brachten. „Und wir bringen sie heute wieder zurück“, lächelt Ohad Ben-Ari. Mit „wir“ meint er sich und die anderen KünstlerInnen seiner Generation. „Wir sind die Enkel!“ Das Durchschnittsalter des Orchesters ist niedrig, die ältesten Mitglieder seien Mitte vierzig, die jüngsten Anfang zwanzig.
Übrigens, erklärt er noch, gebe es damit erstmals seit fast 75 Jahren endlich wieder ein rein jüdisches deutsches Sinfonieorchester. Es habe früher bereits eins gegeben, das Orchester des jüdischen Kulturbunds. – Dazu drängt sich dann allerdings doch die Frage auf, ob das wirklich die Tradition ist, in die man sich stellen möchte. Der Kulturbund war nämlich 1933 als Reaktion auf die Ausgrenzung jüdischer Künstler aus dem deutschen Kulturleben gegründet worden.
Radialsystem V, 16.–18.10.
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