: Chefinnensache
Koalition Das Amt der Bundeskanzlerin übernimmt künftig die politische Koordination der Flüchtlingsthemen. Das ist gut, wurde aber auch Zeit
ist Parlamentskorrespondentin der taz. Ihr Berichtsschwerpunkt ist die Union, also auch die Bundeskanzlerin. Maier schreibt häufig über ostdeutsche Themen. Zudem ist sie Autorin mehrerer Bücher. Zuletzt erschien von ihr und Hanna Maier „Als Oma bist du ja ganz nett“(Piper Verlag).
Ja, es vermittelt gerade ein gutes Gefühl, Angela Merkel zuzuhören. Das Grundrecht auf Asyl kenne keine Obergrenze, sagt die Kanzlerin ein ums andere Mal. Und dass daran nichts geändert werde. Punkt. Da mögen die CSU-Jungs noch so zetern oder drei Dutzend CDU-Funktionäre einen Brandbrief aufsetzen. Angela Merkel, das ist sehr deutlich, hat das Thema Flüchtlinge zur Chefinnensache gemacht.
Dass es da kein Vertun gibt, zeigt sich aktuell überdeutlich bei ihrer Kompetenzrochade zwischen Kanzleramt und Regierung. Ab sofort, so hat es das Kabinett am Mittwoch beschlossen, werden in der Flüchtlingsfrage alle relevanten Entscheidungen im Bundeskanzleramt getroffen.
De Maizière geduldet
Die zuständigen MinisterInnen, auch der schwer angeschlagene Bundesinnenminister Thomas de Maizière, sollen Merkels Vertrautem Peter Altmaier zuarbeiten. Bis auf Weiteres bleibt das Thema ständiger Tagesordnungspunkt in den Kabinettssitzungen; es wird fortlaufend aktuelle Berichterstattung an den Kanzleramtsminister erwartet.
Diese Entscheidung ist von einer Tragweite, die allen im Land vor Augen führen soll, wie wichtig das Thema Flüchtlinge ist. Und wie wichtig es der Regierungschefin ist. Aber auch, wie dringend jetzt gehandelt werden muss. Die konkreten Herausforderungen und Krisen, die mit der Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge verbundenen sind, müssen subito gelöst werden. Zumal in einem Land, das Anfang Oktober eigentlich schon nicht mehr vertretbare Temperaturen aufweist für Menschen, die in Zelten übernachten müssen.
Dass Angela Merkel jetzt andere Saiten aufzieht, ist nur folgerichtig. Ihre eigenen Leute zwingen sie, das Grundgesetz vor ihnen zu schützen. Allein im kommenden Jahr stehen fünf Landtagswahlen an. Und in zwei Jahren wird ein neues Parlament, eine neue Regierung gewählt. Da hätten Merkels Unions-Leute gern wieder gute Ergebnisse. Auch deshalb verfallen sie in jenes alte Muster, das ihnen noch immer zur Macht verholfen hat: Den deutschen Bürger bei seinen Ängsten abzuholen. Und deshalb schauen sie nach Berlin und fordern: „Mach das weg!“
Aber das geht nicht weg. Täglich kommen Tausende Flüchtlinge ins Land. Jeder und jede ist ein Mensch mit nichts, worauf die allermeisten Bundesbürger im Notfall zurückgreifen könnten: ein privates Netzwerk, eine Couch bei einem Freund, jemanden, der Geld borgt. Kurzum, eine Heimat.
Viele der Neuankömmlinge werden bleiben dürfen. Das regelt das Grundgesetz so, nicht die tagespolitische Agenda. Angela Merkel hat gerade alle Hände voll damit zu tun, das C im Namen ihrer Partei zu retten. Mehr ist es dann aber auch nicht. Sie tut, was ihres Amtes ist.
Man kann wirklich nicht behaupten, die Kanzlerin wäre den Schwarzmalern nicht entgegengekommen. Mit dem verschärften Flüchtlingsgesetz, das schon in der kommenden Woche Parlament und Bundesrat passieren soll, hat ihre Große Koalition staatliche Repression in eine Rechtsform gegossen. Residenzpflicht, Sachleistungen, „sichere“ Herkunftsländer – das alles sind eins zu eins erfüllte Forderungen jener, die dieses Land seit Monaten am Limit oder darüber hinaus sehen.
Welche Belastungsgrenze?
Und doch lässt der Druck nicht nach. Horst Seehofer würde am liebsten Zäune à la Viktor Orbán errichten. Sein Heimatminister Markus Söder möchte am Grundgesetz fingern. Selbst die Sozialdemokraten machen jetzt mit beim sozialstaatlichen Unterbietungswettbewerb. Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht demnächst die „Belastungsgrenze“ erreicht.
Warum eigentlich? Und wo genau liegt bitte diese Belastungsgrenze in einem Land, in dem Bus und Bahn fahren, der Geldverkehr reibungslos läuft und abends die Lokale voll sind mit Leuten, die ihr Dasein genießen? Die Belastungsgrenze scheint für viele exakt da zu verlaufen, wo die neue Herausforderung ihren Alltag zu verändern droht.
Unter den Politikern hat jeder seine Gründe, phobisch zu werden. Horst Seehofer muss schauen, dass ihm der Söder nicht vor der Zeit über den Kopf wächst. Der Söder möchte sich den Bayern schon mal als härtester von allen harten Hunden andienen. Sigmar Gabriel probiert aus, ob es sich in den allwöchentlichen Umfragen auszahlt, dem sozial schwachen Wähler nach dem Munde zu reden. Und die AfD profitiert derweil mit ihrer flüchtlingsfeindlichen Rhetorik von Merkels Politik – 7 Prozent der BürgerInnen würden aktuell AfD wählen.
Populistische Zündeleien
Alle, die sich jetzt mit handlichen Sprüchen bei den rechtspopulistischen Zündlern anheischig machen, wissen genau, dass sie selbst keine andere Lösung anzubieten haben als die Kanzlerin. Nämlich einfach zu machen. Es hilft ja nichts. Was soll mit den Flüchtlingen geschehen? Beim Einmillionenundersten tritt der Innenminister nach vorn, zieht einen Kreidestrich und sagt: Sorry, Sie sprengen gerade unsere Belastungsgrenze, bitte kehren Sie unverzüglich in Ihr ganz persönliches Kriegsgebiet zurück? Globale Krisen halten sich nicht an innenpolitische Planspiele.
Man stelle sich nur für eine Minute vor, Angela Merkel würde die Reißleine ziehen. Die Frau aus der ehemaligen DDR machte die Grenzen dicht – das Ansehen ihres Landes, das in den zurückliegenden Jahrzehnten gut an den Krisen der anderen verdient hat, wäre ruiniert. Eine kaltblütige Kanzlerin wäre noch weniger wählbar als eine pragmatische.
Umso verwerflicher ist es, den Unmut jener Bürger, die sich auf mitunter absurde Weise beeinträchtigt fühlen vom Elend anderer Leute, auf eben diese zu kanalisieren. Ja, dieses Land erlebt gerade eine logistische Höchstanforderung. Und nein, es ist darauf nicht gut vorbereitet (unter anderem deshalb, weil die amtierende Regierung viel zu lange weggeschaut hat). Insofern ist das, was Angela Merkel gerade tut – nämlich das Grundgesetz einzuhalten und Abschreckungspolitik zu leisten – weiß Gott keine Heldentat. Es ist nur das, wofür die Leute sie schon dreimal gewählt haben: Sie soll die Dinge regeln.
Aktuell dauert das mit dem Regeln etwas länger. Aber das wird. Es muss ja. Anja Maier
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