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„Sie war mir viel zu nah“

VERTRAUTE Anja Röhl liest aus ihrem Buch über ihre Stiefmutter,die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof

Foto: privat
Anja Röhl

60, war fünf Jahre alt, als ihr Vater, der Publizist Klaus Rainer Röhl, ihr seine neue Freundin Ulrike Meinhof vorstellte.

taz: Frau Röhl, was haben Sie als 15-Jährige gedacht, als Ulrike Meinhof Andreas Baader befreite und in den Untergrund ging?

Anja Röhl: Ich erfuhr von einer Freundin im Internat, Ulrike werde wegen Mordes gesucht. Im ersten Moment dachte ich, sie hätte meinen Vater umgebracht. Ich bekam einen Nervenzusammenbruch. Sie schrie mich an, es sei etwas Politisches. Dann erinnerte ich mich an ein anderes Ereignis, bei dem die Medien über Ulrike etwas behauptet hatten, was nicht stimmte und das mir Ulrike einleuchtender erklärt hatte. Deshalb habe ich nicht gleich alles geglaubt, was berichtet wurde.

War Ihnen klar, wie radikal sie war?

Kein bisschen, weil sie vorher mir gegenüber ganz anders aufgetreten ist. Ich habe ihre Radikalisierung so nicht empfunden: Sie war mir dafür viel zu nah.

Haben Sie mit ihr politisch diskutiert?

Davor ja: über Frauenemanzipation, autoritäres Erziehungsverhalten. Das waren alles Meinungen, die sie in ihren Kolumnen geäußert hat. Danach habe ich nicht mehr mit ihr diskutieren können ohne acht Bewacher, die jeden Satz dreimal unterbrochen haben. Politische Themen waren nicht erlaubt. Auch in unserem Briefwechsel waren keine politischen Themen erlaubt. Ich habe mich damit getröstet, dass wir uns über das alles unterhalten würden, wenn sie einmal rauskäme.

Wie hat sich Meinhofs Engagement im Familienleben abgebildet?

Als ganz besonders menschenliebend und freundlich. Sie ist mit mir ausgesprochen kindgerecht umgegangen und hat politische Themen nie forciert. Wir haben uns über Katzen unterhalten und auch über Kindererziehung. Dabei hatte sie sehr humanistische Auffassungen. Sie hatte viel Geduld mit meinen kleinen Halbschwestern.

Wie hat das Publikum bei Ihren Lesungen reagiert?

Überrascht, dass ich die 50er- und 60er-Jahre sehr gut einfange. Ich beschreibe die Adenauer-Zeit, den Kalten Krieg und mit der Zeugenschaft Ulrike Meinhofs auch die Radikalisierung und den Zerfall der 68er. Die Leute, vor denen ich lese, finden sich da sehr gut wieder.

Interview: Gernot Knödler

Lesung „Die Frau meines Vaters – Erinnerungen an Ulrike Meinhof“: 20 Uhr, Kulturzentrum Lola, Lohbrügger Landstr. 8

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