: Der Faktor Flüchtling
ARBEITSMARKT Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte dürfen nichtgegen neu gekommene Geflüchtete in Stellung gebracht werden
Die promovierte Volkswirtschaftlerin war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB und saß bis 2009 im SPD-Vorstand. An dieser Stelle beschäftigte sie sich zuletzt mit den Zukunftsaussichten der Gewerkschaftspolitik.
Kaum ist die berufliche Integration der Flüchtlinge zu einer öffentlichen Herausforderung erklärt, kommen die „Neos“ mal wieder aus ihren Ecken. Mindestlohn runter oder gleich ganz aufgeben, Leiharbeit lockern, keine Reglementierung der Werkvertragsarbeit sind nur einige ihrer Vorschläge. Langzeitarbeitslose, gering Qualifizierte, Behinderte und Migranten werden gegen die Flüchtlinge in Stellung gebracht. Der Sozialneid mit möglicherweise verheerenden Ausschreitungen gegen Flüchtlinge wird geschürt.
Sind Flüchtlinge die Fachkräfte von morgen?
Weder führt der massive Zustrom der Flüchtlinge zu einem Wirtschaftswunder, wie dies aus höchsten Kreisen der Wirtschaft zu vernehmen ist, noch bedeutet dies ein neues „Lumpenproletariat“. Bei dieser „Herkulesaufgabe“ geht es auch nicht nur um die Überwindung einer kurzfristigen Krise. An die Adresse der Bundesregierung gerichtet heißt dies allerdings: Man kann nicht die Arme für Flüchtlinge ausbreiten, die „Willkommenskultur“ sowie die Notwendigkeit ihrer Integration beschwören, gleichzeitig aber das Portemonnaie bei der dazu erforderlichen Finanzierung geschlossen halten. Die große Unterstützung in der Bevölkerung würde sich schnell in ihr Gegenteil verkehren.
Zu befürchten ist, dass die Arbeitslosigkeit infolge des übermächtigen Zustromes von Flüchtlingen ansteigt. Vor allem müssen erhebliche Hürden bei Sprache, Qualifikation, persönlichen, familiären, kulturellen und sozialen Bedingungen überwunden werden.
Nach bisherigen Erkenntnissen sind unter den Asylbewerbern besonders viele junge Menschen. Bei Bildung und beruflicher Qualifikation mangelt es bereits an Transparenz und Vergleichbarkeit als Mindestvoraussetzung für die Erfassung von Inhalt und Niveau sowie die Anerkennung. Bei den über 135 Muttersprachen der 2015 erwarteten eine Million Flüchtlinge herrscht schon beinahe babylonische Verwirrung.
Darüber hinaus kann ein großer Teil der Asylbewerber nicht mit einem dauerhaften Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik rechnen. So ist es nicht verwunderlich, dass bei dem Einsatz von Job Coaches in den Auffanglagern nur wenige Flüchtlinge für die Vermittlung in Arbeit vorgeschlagen werden können. Auch erreichen die Anforderungen an Sprachkurse – allgemein und berufsbezogen – eine Größenordnung, die mit den verfügbaren Angeboten keinesfalls bewältigt werden können.
Ob und inwieweit die von der Wirtschaft beklagte Fachkräftelücke tatsächlich besteht, dürfte hinter der gemeinsamen Verantwortung zur Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen in den Hintergrund treten. Allerdings ist genauso vor der Illusion zu warnen, diese gewaltige Aufgabe könne durch kurzfristigen Aktionismus bewältigt werden. Vielmehr bedarf es hierzu eines umfassenden Konzeptes, die Arbeitsangebote mit den Anforderungen, Qualifikationen und Qualifikationspotenzialen der zuwandernden Menschen abzustimmen. Hierbei ist ebenfalls die Wirtschaft gefordert, die Eingliederung der Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung ohne Vorurteile, mit größerer Offenheit und finanzieller Beteiligung zu unterstützen. Dabei sind auch die Arbeitsbedingungen an die Erfordernisse der Flüchtlinge anzupassen und flankierende Hilfestellung bei den persönlichen und administrativen Anforderungen ist zu leisten.
Wirtschaft und Politik sind in der Verantwortung
Die Bundesregierung ist gefordert, die Vorrangprüfung auszusetzen, die ein faktisches Arbeitsverbot über 15 Monate bedeutet. Danach kann derzeit ein Asylbewerber eine Arbeitsstelle nur dann annehmen, wenn weder ein Inländer, ein EU-Ausländer oder ein sonstiger anerkannter Migrant zur Verfügung steht. Bedingung für den Verzicht auf einen derartigen Nachweis muss allerdings sein, dass Tarifbedingungen oder Mindestlohn gelten, um Schmutzkonkurrenz zulasten aller Arbeitnehmer zu verhindern. Ebenso notwendig ist die Erfassung und sprachliche sowie berufliche Vorbereitung Jugendlicher für eine Ausbildung mit der Gewährung eines ausreichenden Bleiberechtes während der Ausbildung und der anschließenden Beschäftigung.
Integration nicht zum Nulltarif
Die nach den jüngsten Gipfelbeschlüssen vorgesehene finanzielle Unterstützung des Bundes für die Kommunen wird schon für dieses Jahr mit 1 Milliarde Euro zusätzlich bei erwarteten 1 Million Flüchtlinge nicht ausreichen. Die Zahlung einer Pauschale von 670 Euro pro aufzunehmenden Flüchtling ab 2016 ist zwar eine richtige Weichenstellung. Damit würde der Bund mehr als bisher die Verantwortung für die finanziellen Folgen seiner Flüchtlingspolitik übernehmen. Sehr schnell könnte dies jedoch die Haushaltsvorgaben sprengen, wenn mehr als die angenommenen 400.000 anerkannten Asylanten in den Kommunen zu integrieren sind.
Fragwürdig unter humanitären und praktischen Auswirkungen ist die Verschärfung der Abschiebung in „sichere“ Balkanstaaten, deren Anzahl auf 6 verdoppelt wird. Die gleichzeitige Erweiterung der Arbeitsmigration aus diesen Ländern als Alternative zum Asyl erfordert erheblich mehr Kontrollen, um Dumping von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu verhindern. Dies gilt noch mehr für die vorgesehene Lockerung beim Zugang der Asylanten zur Leiharbeit.
Die dringend erforderliche Verringerung der Dauer der Asylverfahren hängt neben organisatorischen Verbesserungen entscheidend davon ab, dass die gravierende personelle Lücke vor allem bei den „Entscheidern“ über die Asylanträge im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schnell geschlossen wird. Mit der Nominierung des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank Jürgen Weise, gleichzeitig zum Leiter des BAMF sind gute Voraussetzungen geschaffen. Für die berufliche Integration der Flüchtlinge entscheidend ist jedoch eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung in den Job Centern. Hier muss der Bund dringend Finanzen und Personal aufstocken. Bleibt zu hoffen, dass die anstehenden Gesetzgebungsverfahren nicht durch weitere ungesteuerte Entwicklungen in der Flüchtlingspolitik überholt werden. Ursula Engelen-Kefer
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