Angekommen, um zu warten

Betreuung Im Clearingverfahren werden geflüchtete Jugendliche versorgt und ihr Bildungsstand wird überprüft. Viele warten lange auf den ersten Termin

Aachen ist ein Knotenpunkt, an dem besonders viele minderjährige Flüchtlinge ohne erwachsene Begleitung ankommen. Nicht nur weil sie sich selbst hier melden. Die Bundespolizei besorge sich Fahrpläne und kontrolliere gezielt Fernbusse und den grenzübergreifenden Zugverkehr, sagt Juliane Hoppe, Sozialarbeiterin beim „Café Zuflucht“ in Aachen.

Jugendliche Flüchtlinge kommen daraufhin zum Jugendamt, wo geprüft wird, ob sie minderjährig sind. „Jetzt, wo mehr Jugendliche ankommen, beobachten wir, dass die Behörden strenger werden und Altersangaben öfter anzweifeln“, sagt Hoppe. Doch es habe sich auch viel Gutes getan. Das Jugendamt Aachen habe sich auf die Jugendlichen eingestellt, im Café Zuflucht werde eine eigene Beratungsstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gefördert.

Jugendliche Flüchtlinge müssen sich nicht bei den zentralen Erstaufnahmestellen für Asylsuchende melden. Sie werden von den örtlichen Jugendämtern in Obhut genommen und betreut. Die Jugendlichen durchlaufen dann das Clearingverfahren.

Dazu gehören Gesundheitsuntersuchungen, aber auch ob die Jugendlichen besondere psychische Betreuung benötigen, wie weit sie in ihrer Entwicklung sind und welche Schulbildung sie bisher haben. Sozialarbeiter versuchen Familienangehörige zu finden. Zudem suchen sie nach passenden Wohnformen und Ausbildungswegen für die Jugendlichen.

„Wir bräuchten mehr Alphabetisierungsklassen“, sagt Hoppe, „die Jugendlichen sind schulpflichtig, müssen aber oft mehrere Monate auf einen Schulplatz warten.“ Außerdem sei es inzwischen schwer, die Jugendlichen angemessen unterzubringen.

Auch in Berlin sind die knapp 100 Plätze der zentralen Aufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge längst belegt. Die Senatsverwaltung hat deshalb 530 Jugendliche in Notunterkünften untergebracht, zum Beispiel in Jugendheimen und Hostels.

Mehdi H. aus Syrien (Name geändert) ist 16 Jahre alt und seit knapp vier Wochen in Berlin. Er lebt mit anderen minderjährigen Flüchtlingen in einem Hostel. Um neun Uhr würden sie geweckt, bekämen einen Euro Taschengeld und Frühstück, zwischen 11 und 12 Uhr hätten sie Deutschunterricht bei wechselnden Lehrern, meist den Betreuern, erzählt er.

„Die Nummern, ‚Wie geht es dir‘, ‚Wie heißt du‘ kann ich schon“, sagt Mehdi. Um 19 Uhr gäbe es Abendbrot, für die Zeit dazwischen nähme er sich Brot vom Frühstück mit. Die Betreuer seien tagsüber im Hostel, nachts gäbe es nur die Mitarbeiter an der Rezeption.

Mehdi fragt, wann er endlich in eine normale Schule gehen könne. Er möchte möglichst schnell Deutsch lernen, die lateinische Schrift könne er schon ein bisschen lesen. Später würde er gern Kinderarzt oder Ingenieur werden. Der Termin für Mehdis Erstgespräch, bei dem sein Alter festgestellt und das Clearing eingeleitet wird, ist Ende November.

Minderjährige Flüchtlinge müssen inzwischen sehr lange auf ihr Erstgespräch warten, wie Ilja Koschembar von der Senatsverwaltung für Jugend und Familie in Berlin bestätigt. Eigentlich sollte dieses Gespräch wenige Tage nach der Ankunft stattfinden. Die nächsten Termine gibt es derzeit erst im Januar oder Februar. Frank Ramthun vom Jugendhilfeträger WeGe ins Leben e. V. sagt: „Früher gab es klare Vorgaben, wie das dreimonatige Clearing abzulaufen hat.“

Inzwischen gäbe es Verwirrung, ob Betreuer in der Zeit bis zum Erstgespräch schon Clea­ringschritte einleiten würden. Das Engagement der Träger sei gut, sagt er, doch nicht alle hätten ausreichend Erfahrung damit. „Ich habe den Eindruck, dass die ambulante Betreuung der Jugendlichen mehr eine ­Verwahrung ist“, sagt Ramthun, er frage sich, ob die Qualität noch gewährleistet sei und man „den Jugendlichen nicht die Möglichkeiten ihres Clearings nimmt“.

Bisher wird das Clearing in den Städten durchgeführt, in denen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ankommen. Allerdings gibt es Pläne, sie gleichmäßig auf die Bundesländer zu verteilen. Die Diakonie und viele Jugendhilfeeinrichtungen kritisieren dies, da nicht alle Jugendämter auf die Anforderungen durch jugendliche Flüchtlinge vorbereitet seien. Uta Schleiermacher