: Ficken statt beten
DEMONSTRATION Tausende wollten am Samstag mit einem Schweigemarsch gegen Abtreibungen protestieren – den GegendemonstrantInnen gelang es jedoch erstmals, den „Marsch für das Leben“ zu blockieren
von Malene Gürgen
Unter den Linden geht nichts mehr. Die TeilnehmerInnen der Demonstration „Marsch für das Leben“ mit ihren weißen Holzkreuzen in der Hand kommen nicht voran – die Straße vor ihnen ist ab der Kreuzung Charlottenstraße komplett von GegendemonstrantInnen blockiert. Es ist nicht die erste Blockade, zuvor war der Schweigemarsch, der um 14.30 Uhr am Bundeskanzleramt begonnen hatte, bereits umgeleitet worden.
„Wir haben schon vorher im Internet gelesen, dass die Linken uns dieses Mal blockieren wollen“, sagt eine Teilnehmerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Aber dass wir hier wirklich nicht weiterkommen, hätte ich nicht gedacht.“ Mit einer Bibelstunde hätten sie und ihre Begleiter, mit denen sie aus Niedersachsen angereist sei, sich die Wartezeit verkürzt. Nun aber ist ihre Geduld offenbar am Ende: „Wir haben schon mehrfach von der Polizei gefordert, die nächste Eskalationsstufe einzuleiten und uns den Weg frei zu machen“, sagt die Frau.
Für die GegendemonstrantInnen, die den Marschteilnehmern ein antifeministisches und fundamental-religiöses Weltbild vorwerfen, hat sie auch inhaltlich kein Verständnis: „Wer abtreibt, erleidet einen seelischen Schaden, das steht völlig außer Zweifel“, sagt sie. Der „Marsch für das Leben“ fordert das Ende straffreier Schwangerschaftsabbrüche und setzt sich gegen Sterbehilfe und Gentests an Embryonen ein. Er wird vom Bundesverband Lebensrecht organisiert, dessen Vorsitzender Martin Lohmann gemeinsam mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch am Samstag in der ersten Reihe marschierte.
Für die GegendemonstrantInnen – nach Angaben der Veranstalter rund 2.500, die Polizei schätzte 1.700 TeilnehmerInnen – ist der Tag ein voller Erfolg: Zum ersten Mal haben sie es geschafft, die seit 2008 jährlich in Berlin stattfindende Demonstration von AbtreibungsgegnerInnen zu blockieren – und das, obwohl der Marsch erneut rund 5.000 TeilnehmerInnen verzeichnen konnte. „Wir sind absolut zufrieden, dass es uns gelungen ist, der gefährlichen Mischung aus christlichen FundamentalistInnen, extrem Konservativen und Rechtspopulisten den Tag zu vermiesen“, sagt Sarah Bach, Sprecherin des linken Bündnisses „ Marsch für das Leben? What The Fuck!“, das zu den Gegenprotesten aufgerufen hatte.
Teilnehmerin, Marsch für das Leben
Begonnen hatte der Gegenprotest mit einer „queerfeministischen und antifaschistischen Gegendemonstration“, die um 12 Uhr vom Anhalter Bahnhof aus startete und an der laut Angaben der Veranstalter rund 2.000 Menschen teilnahmen. Am Gendarmenmarkt traf diese auf die Demonstration des „Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung“, das vor allem von Parteien und Beratungsorganisationen wie Pro Familia getragen wird und zuvor am Brandenburger Tor eine nach Polizeiangaben rund 450 Menschen starke Gegenkundgebung unter dem Titel „Leben und Lieben ohne Bevormundung“ organisiert hatte.
Nach einer gemeinsamen Zwischenkundgebung teilten sich die GegendemonstrantInnen dann in zwei Gruppen – sogenannte Finger – und versuchten, auf die Route der AbtreibungsgegnerInnen zu kommen. Dabei kam es mehrfach zu Zusammenstößen mit der Polizei, die dabei Pfefferspray einsetzte. „Die Polizei ist mehrfach in völlig unverhältnismäßiger Weise auf TeilnehmerInnen der Gegenproteste losgegangen“, kritisierte Bach. Insgesamt waren nach Polizeiangaben rund 900 Beamte im Einsatz.
Nach mehreren teils erfolgreichen Versuchen gelang es den GegendemonstrantInnen schließlich, Sitzblockaden auf der Straße Unter den Linden zu errichten, sodass der Marsch nicht weiterziehen konnte. Zahlreiche Marsch-TeilnehmerInnen verließen ihre Demonstration daraufhin, erst nach gut zwei Stunden gelang es der Polizei, die Blockaden zu räumen. Die übrig gebliebenen TeilnehmerInnen des „Marschs für das Leben“ zogen daraufhin im Regen bis zu ihrem Abschlussort am Lustgarten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen