piwik no script img

Nach Westen geprügelt

Kroatien Nach Zusammenstößen mit der ungarischen Polizei treffen erste Flüchtlinge an der serbisch-kroatischen Grenze ein. Kroatien erwägt strengere Kontrollen

Aus Wien Ralf Leonhard

Ungarns Regierung und ihre Flüchtlingspolitik finden sich zunehmend isoliert. Von Serbiens Premier Aleksandar Vučić, der von „brutalem“ und „nicht europäischem“ Vorgehen sprach, bis zum UNO-Generalsekretär hagelte es Proteste. Ban Ki Moon zeigte sich „schockiert“. Wie mit den Flüchtlingen umgegangen werde, sei inakzeptabel, so Ban auf einer Pressekonferenz in New York. Die Rede ist vom Polizeieinsatz am Grenzzaun Mittwochnachmittag. Gegen protestierende Flüchtlinge, die auf der serbischen Seite die Öffnung der Grenzstation forderten, waren die Sicherheitskräfte mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken vorgegangen.

Auf Fernsehbildern sieht man, wie Menschen zu Boden geworfen werfen und ein Mann blutüberströmt sein Kind schützt. Amnesty International warf der Polizei vor, sie habe Flüchtlingskinder von ihren Eltern getrennt. Donnerstag meldete die Polizei, die Familien seien wieder zusammengeführt worden. Die ungarischen Schlagstöcke zu spüren bekamen auch ein polnischer Journalist und ein Kamerateam des serbischen Fernsehens. Ihre Ausrüstung wurde dabei beschädigt. 29 Demonstranten wurden festgenommen. Darunter – so die ungarische Polizei – ein „gesuchter Terrorist“, den man in der Datenbank gefunden habe.

Die Revolte dürfte losgebrochen sein, weil Schlepper das Gerücht gestreut hatten, Ungarn würde die Grenze öffnen. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass da kein Durchkommen ist. Der Grenzübergang von Röszke wird laut Behörden mindestens 30 Tage geschlossen bleiben. Für die Verlängerung des Abwehrzauns entlang der rumänischen und kroatischen Grenzen werden Vorbereitungen getroffen. In Kroatien sind seit Mittwoch rund 6.200 Flüchtlinge eingetroffen. Mehr als 2.000 Flüchtlinge sollen am Nachmittag eine Polizeiabsperrung durchbrochen haben. Wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur ap berichtete, wurden dabei Dutzende Menschen verletzt. Die Personen seien überein­andergestürzt und hätten sich gegenseitig niedergetrampelt.

Während Serbien die Flüchtlingskrise als reines Transitproblem betrachtet, muss sich Kroatien an die EU-Regeln halten. Die Ankündigung, man werde einen Korridor durch Kroatien und Slowenien nach Österreich einrichten, wurde Donnerstag relativiert. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann wurde in Zagreb und Ljubljana vorstellig und vereinbarte enge Zusammenarbeit in der Flüchtlingsproblematik. Faymann und Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovićbetonten, dass die Dublin-Verordnung eingehalten werden müsse. Faymann: „Wir können kein Regelwerk über Bord werfen, bevor wir ein neues haben, müssen uns aber ehrlich eingestehen, dass wir ein neues brauchen.“

EU-Sondergipfel zu Flüchtlingen

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder kommen am nächsten Mittwoch zu einem Sondergipfel zusammen. Das teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Unterdessen ist die Zahl der über Österreich nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge erneut deutlich gestiegen. Wie die Bundespolizei in München am Donnerstag mitteilte, wurden in Bayern am Mittwoch insgesamt rund 9.100 unerlaubt eingereiste Menschen gezählt – fast alle kamen demnach aus Österreich. Am Dienstag hatte die Zahl der Flüchtlinge bei rund 6.000 gelegen. (dpa, afp)

Wenig später überraschte Innenminister Ranko Ostojićim Grenzort Tovarnik mit der Aussage: „Wir können keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen.“ Schutzsuchenden werde die Weiterfahrt zu Registrierungszentren rund um die Hauptstadt Zagreb ermöglicht. Jene Ausländer, die kein Asyl beantragen wollten, würden aber als illegale Immigranten angesehen. Die Weiterreise an die Grenze zu Slowenien werde man nicht erlauben.

Am österreichischen Grenzübergang Spielfeld wird seit Mittwochabend kontrolliert. Bis Donnerstagnachmittag waren aber noch keine Flüchtlinge eingetroffen. Die Grenzkontrollen zwischen Österreich und Deutschland wirken sich indessen auf den Zugverkehr aus. Die Strecke Salzburg–München sei bis auf weiteres eingestellt, gab die Deutsche Bahn am Donnerstagnachmittag bekannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen