Die Fiktionen von Berlin

Ausstellung Der experimentelle Architekt Arno Brandlhuber präsentiert in „The Dialog City“ in der Berlinischen Galerie vergessene Pläne zur Berliner Stadtentwicklung

Endstation Abstellkammer: in Vergessenheit geratene Berliner Zukunftspläne Foto: Carolin Wagner

von Rolf Lautenschläger

Dass Berlins Stadtplanung umfangreicher ist als das, was wir als Bauten oder Plätze links und rechts der Straßen sehen, ist eine Binsenweisheit. Ebenso gewiss ist aber auch, dass die vielen nicht realisierten Ideen für Architekturen und Stadtviertel kaum mehr in unserem Bewusstsein sind. Die Vorstellung, wie Berlin seit der Teilung 1961 sonst noch aussehen könnte, fehlt. Denn die Pläne, Wettbewerbsentwürfe und Modelle für die „Fiktionen von Berlin“ liegen zu tausenden als Ablagerungen im Depot der Bauverwaltung. Und dort geraten sie peu à peu in Vergessenheit.

Der Architekt Arno Brandlhuber hat diese Schätze nun ausgegraben und präsentiert sie in der Ausstellung „The Dialogic City – Berlin wird Berlin“ in der Berlinischen Galerie. Als experimenteller Architekt und Querkopf berühmt und berüchtigt, hat Brandlhuber mit dem Architekten Florian Hertweck und dem Designer Thomas Mayfried die urbanen Ausgrabungen aber nicht an die Wand gehängt oder auf ein Reißbrett gelegt.

Stattdessen sind massenweise Aktenordner, gefüllt mit den „vergessenen“ Projekten und Kisten aus den Depots in einem 30 Meter langen und 3 Meter hohen Regal gestapelt, das die gesamte Haupthalle füllt. Der Clou der Installation ist, dass die Besucher zwei Archivaren zuschauen können, wie jene die Dokumente, Pläne und Modelle auspacken, fotografieren und endlich katalogisieren.

Rem Koolhaas Hochhäuser (1988) für das „Kranzler-Eck“ liegen gerade auf den Arbeitstischen der Archivare. Erinnert sich noch jemand an die Entwürfe? Nun wird im Museum fotografiert, digitalisiert, ausgewertet, geforscht. In den Regalen warten derweil die unberücksichtigten Ideen für das Regierungsviertel, für große Satellitenstädte im Ostteil, für eine City-West im Manhattan-Look und, und, und …

Der Regalwand gegenüber sind 1.000 Exemplare des 700-Seiten-Katalogs gestapelt, der kostenlos zu haben ist. In diesem Band würdigen Brandlhuber und Co. die spezifischen Berlin-Gesichter und greifen die Dialoge von damals wieder auf, welche die Stadt mit sich führte und die Planer über die Stadt angestoßen haben.

Während die Ausstellung leicht staubig und sparsam daherkommt und sich nur über den Katalog und die lebendige „Katalogisierung“ besser erschließt, ist die Botschaft klar: Die „breite Ideengeschichte der Stadtplanung“ soll gehoben werden, als Lehre daraus sollen die Debatten und Planungen über das aktuelle und kommende Berlin komplexer und dialogischer verlaufen.

„Dialogic City“ ist ein Projekt im Rahmen der Berlin Art Week 2015. Hierbei widmen sich mehrere Berliner Kulturinstitutionen, darunter die Berlinische Galerie, die KunstWerke Institute for Contemporary Art oder die Nationalgalerie in ihren Ausstellungen dem Themenkomplex Stadt aus verschiedenen Perspektiven.

Brandlhuber besticht aber nicht nur durch sein ästhetisches oder praktisches Konzept. Er macht auch konkrete Vorschläge in seinem Katalog. Es sei ein Fehler gewesen, dass der Dialog über das Tempelhofer Feld nur mit „Pro“ und „Contra“ Tempelhofer Freiheit geführt wurde und das Thema Wohnungsbau dort heute tabu sei, so der Architekt. Ein freies Feld und Wohnungen wären die bessere Lösung gewesen. Brandlhuber schlägt darum vor – vergleichbar dem Aufbau des Bikinihauses am Breitscheidplatz – das Dach des 1.230 Meter langen Terminalgebäudes mit 1.000 Wohnungen aufzustocken.

Kann man ja noch machen. Aber nicht so!

Bis 21. März 2016, Infos und Veranstaltungen unter: www.berlinischegalerie.de