Was war und wird

FLUCHT Die Silent University macht akademisches Wissen von Flüchtlingen sichtbar. Am Dienstag sprach der Journalist Salah Zatar über Libyen

Es ist schon komisch, wenn jemand, der sich derart laut macht für die Einhaltung der Menschenrechte, im Rahmen einer Veranstaltung der Silent University spricht. Nicht mal 30 Jahre alt ist der libysche Journalist Salah Zater, aber sein Einsatz für die Meinungsfreiheit zwang ihn Anfang dieses Jahres nach vier Jahren Berufspraxis zur Flucht – zunächst ins benachbarte Tunesien. Ein Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, der Olaf Scholz (SPD) und Ole von Beust (CDU) vorstehen, ermöglichte dem jungenhaften Mann schließlich einen sicheren Aufenthalt im europäischen Ausland.

Bei der Silent University handelt es sich um ein Projekt des in Amsterdam lebenden Konzeptkünstlers Ahmed Ögür, das voriges Jahr für Hamburg adaptiert wurde. In seinem Rahmen soll in einer losen Folge einzelner Veranstaltungen akademisches Wissen von Flüchtlingen, für das es mangels Sprachkenntnissen oder anerkannter Abschlüsse sonst kaum Anwendungsmöglichkeiten gibt, „aktiviert“ werden. Mit Salah Zater sprach erstmalig jemand, der international kein Unbekannter ist. BBC World Service ehrte Zater in diesem Jahr mit einem Preis.

Im seit dem Sturz Muammar al-Gaddafis stark umkämpften Tripolis mit einem Kameramann und einem Fahrer für verschiedene Fernsehsender im Einsatz – Al-Dschasira war nicht darunter –, sei er mehrfach bedroht, geprügelt, entführt und gequält worden, erzählt Zater erstaunlich gelassen. Und er zeigt das Video der Prügelattacke auf ihn und sein Team, ausgeführt von den Sicherheitsleuten Nuri Busahmein, des aus der Türkei gestützten Anführers der islamistischen Gegenregierung. Die Veröffentlichung des Videos in Libyen trug Zater weiteren Ärger ein.

Auf das Internet als Informationsbörse übrigens darf man im Land nicht setzen. Zwar ermöglicht es einigen, Informationen über die Situation außer Landes zu senden. Im Land taugt es als Informationsmedium wenig, die Leitungen sind schlecht, Stromausfälle an der Tagesordnung, und kaum mehr als fünf Prozent der Bevölkerung hat überhaupt einen Internetzugang.

Lauscht man den Ausführungen Zaters, seinen Berichten über verschwundene, gefolterte und ermordete Kollegen, kann man kaum glauben, dass die Situation für Journalisten, so stuft es zumindest die Organisation Reporter ohne Grenzen ein, im Bürgerkriegsland Libyen zwar katastrophal, aber immer noch besser sei als in Syrien. Die Länder nehmen in diesem Jahr Platz 154 (Libyen) und Platz 177 (Syrien) auf der Rangliste der Pressefreiheit ein.

Die höhere Einstufung Libyens liege daran, erläutert Zater, dass das Land im Wesentlichen zweigeteilt ist: Je nachdem, wo ein Journalist tätig ist, im von den Muslimbrüdern dominierten Westen oder im Osten, wo die international anerkannte Übergangsregierung sitzt, sei manchmal ein relativ ungestörtes Arbeiten möglich – gesetzt den Fall, man kritisiert die örtlichen Potentaten nicht zu stark. Es ist jedoch immer damit zu rechnen, besonders, wenn man, wie Zater es tat, über die von allen Bürgerkriegsparteien inklusive verschiedener „unabhängiger“ Milizen begangenen Verbrechen wie sexuellen Missbrauch, Folter, Häftlingsermordungen, Kinderarbeit oder Drogen- und Waffenschmuggel berichtet, dass man mit Todesdrohungen konfrontiert ist. Und dort freilich, wo der Islamische Staat dominiert, um die Mittelmeerstadt Sirte, würden Journalisten ohne jede Umstände ermordet.

Deutlich wird auch an diesem Dienstagabend in Hamburg, dass nichts mehr übrig ist in Libyen vom demokratischen Aufbruch von 2011, dessen Sieg auch für die Meinungsfreiheit unbedingte Voraussetzung gewesen wäre. Wie so viele Aktivisten des Arabischen Frühlings zeigt sich auch Zater enttäuscht vom Rückzug internationaler Akteure. Inzwischen, berichtet er, sehnt sich die Bevölkerung nur noch nach einem Leben in Sicherheit. In den Applaus am Ende der Veranstaltung mischt sich auch Erleichterung darüber, dass mit Salah Zatar ein Aktivist im richtigen Moment die Reißleine gezogen und Libyen verlassen hat.

Christiane Müller-Lobeck