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Die etwas andere Friedensbewegung

Waffen Mit einer Militärparade feiert China den 70. Jahrestag der Befreiung. Offiziell dienen die Waffen ausschließlich dem Frieden

Aus Peking Felix Lee

An chinesischen Schulen sind kurze Röcke verboten. Ausgerechnet Chinas Militär hält es da anders. Als bei der großen Militärparade die weiblichen Sanitätstruppen in kurzen weißen und grauen Röcken auf Lastwagen an den Zuschauertribünen vor dem Platz des Himmlischen Friedens vorbeifahren und dabei simultan mit schräg nach oben gewendetem Blick den versammelten Staatschefs zulächeln, geht auf der Journalisten-Tribüne ein Raunen durch die Menge. Einer pfeift sogar. „So viel Sex-Appeal hätte ich der Volksbefreiungsarmee gar nicht zugetraut“, kommentiert ein anderer Kollege.

Bis ins kleinste Detail perfekt choreografiert ziehen am Donnerstagmorgen insgesamt 12.000 Soldatinnen und Soldaten am Platz des Himmlischen Friedens vorbei. In weißen, grünen, grauen und blauen Blöcken formiert, allesamt in Reih und Glied und natürlich im Gleichschritt. Selbst das Wetter spielt mit. An den Tagen zuvor war der Himmel noch die meiste Zeit bewölkt und es regnete. Seit dem Vortag erstrahlt er aber blau. Und auch Pekings normalerweise von Smog geplagte Luft riecht an diesem Morgen frisch und sauber. Seit Wochen sind im gesamten Umland die Fabriken geschlossen, in weiten Teilen der Stadt herrscht Fahrverbot. Nichts soll die große Militärparade zum Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren trüben. Zudem haben sämtliche Geschäfte geschlossen. Das ganze Land hat für drei Tage frei.

Die größte Armee der Welt

Die Erfahrung von Krieg sorge dafür, dass die Menschen Frieden noch mehr zu schätzen wüssten, sagt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping bei seiner Auftaktrede zu Beginn der Parade. Und er versichert: „China wird niemals die Tragödien anderen zufügen, die es selbst erlitten hat.“ Sein Land werde auch nie eine Hegemonie anstreben. Die Parade bezeichnet er als „ein Zeichen des Friedens“.

Was die Anwesenden auf der Tribüne anschließend zu sehen bekommen, sieht jedoch alles andere als friedfertig aus. Zwar kündigt Präsident Xi in derselben Rede an, innerhalb der nächsten zwei Jahre, die Volksbefreiungsarmee von 2,3 Millionen Soldatinnen und Soldaten um 300.000 verkleinern zu wollen. Sie bleibt jedoch die größte Armee der Welt. Und das will sie auch an diesem Morgen zur Schau stellen.

Neue Rakete kann selbst die USA treffen

Hunderte von Panzern fahren auf den Platz des Himmlischen Friedens zu – was bei vielen düstere Erinnerungen an die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung vor 26 Jahren wecken dürfte. Mit Raketen beladene Lastwagen fahren ebenfalls vorbei. Am Himmel fegen Dutzende von Düsenjägern über Pekings Innenstadt hinweg. Helikopter steigen auf und formieren in der Luft die Zahl 70. „Offiziell sollen die Feierlichkeiten dem Frieden gewidmet sein, tatsächlich aber demonstriert die Parade Chinas Aufstieg“, kritisiert Qiao Mu, Politologe an der Peking-Universität für Auslandsstudien.

Stunden später erläutert der chinesische Staatssender CCTV im Detail, was die Weltöffentlichkeit an diesem Morgen auf der Parade zu sehen bekam. Die sicherlich auffälligste Waffe war eine rund 30 Meter lange und 3 Meter dicke Interkontinental­rakete mit der Bezeichnung DF-5B. DF ist die Abkürzung für das chinesische Wort Dongfeng und heißt übersetzt „Ostwind“. Alle großen Trägerraketen der Volksbefreiungsarmee beginnen mit DF.

Bei der DF vom Typ 5B handelt es sich um eine ganz besondere Waffe. So kann sie Ziele selbst im fernen Florida erreichen – und damit fast alle Teile der Welt. Auf dem Höhepunkt ihrer Flugbahn teilt sie sich in drei Einzelraketen, die in mehrfacher Schallgeschwindigkeit ihre Ziele ansteuern. „Weil sie so schnell sind, kann die gegnerische Flugabwehr sie nur schwer erkennen“, erläutert ein chinesischer Militärexperte. Jede Einzelrakete ist nuklear bestückbar.

Auf der Parade stolz präsentiert wurde an dem Morgen auch eine DF vom Typ 21. Seit Jahren rätseln die USA, wie weit China bei der Entwicklung dieser zielgerichteten Superwaffe ist. Sie soll eine Geschwindigkeit von 12.000 Stundenkilometern haben und Ziele selbst in 1.500 Kilometer Entfernung punktgenau treffen können. Das würde reichen, um Flugzeugträger der USA abzuschießen, die etwa Taiwan, die Phi­lippinen oder Japan beschützen wollen.

„China wird niemals die Tragödien anderen zu­fügen, die es selbst erlitten hat“

Staats- und Parteichef Xi Jinping

Was sie wiederum auszeichnet: Diese Interkontinentalrakete muss nicht schon beim Abschuss präzise programmiert sein. Ihr Ziel kann auch nach dem Wiedereintritt in die Atmosphäre ausgerichtet werden. Weil sie zugleich sich bewegende Ziele wie Kriegsschiffe oder Flugzeugträger ansteuern kann, trägt sie auch den Spitznamen „Flugzeugträger-Killer“.

Über 500 Militärfahrzeuge hat die Volksbefreiungsarmee nach Angaben des Staatsfernsehens auf der Parade gezeigt. Vier Fünftel aller gezeigten Waffen seien noch nie der Öffentlichkeit vorgeführt worden, hatte ein Militärsprecher zuvor verkündet. Und sie seien allesamt „made in China“.

Dem Politologen Qiao Mu zufolge dient die protzige Militärschau Staatschef Xi zugleich dem internen Machterhalt. „Als ein starker Führer, der noch nicht lange seines Amtes waltet, ist die Parade ein Weg, seine Autorität und die Kontrolle über Partei und Staat zu demonstrieren“, vermutet der Politologe. Xi nutze diese Gelegenheit, um zu zeigen, dass die Armee komplett hinter ihm steht.

Zum krönenden Schluss der rund 70-minütigen Militärparade lässt das Militär noch ­Tausende von Friedenstauben aufsteigen. Schließlich handelte es sich ausdrücklich um eine „Parade des Friedens“.

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