: Verfassungswidrige Reform
MITBESTIMMUNG Eine Eingrenzung des Petitionsrechts sei ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht der Petitionsfreiheit, sagen Juristen der Bürgerschaftsverwaltung
von Klaus Wolschner
Einen „unverfrorenen Versuch der rot-grünen Koalition, das Recht der Bürger einzuschränken“, nennt der CDU-Politiker Claas Rohmeyer die im Koalitionsvertrag vorgesehene Einschränkung des Petitionsrechts. Die „Vereinigung zur Förderung des Petitionsrechts in der Demokratie“ spricht von einer „Aushöhlung der Verfassung“, und das bestätigen jetzt auch Juristen der Bürgerschaftsverwaltung.
Bereits seit einer SPD-Klausurtagung im Jahre 2013 laufen die Bemühungen, das Petitionsrecht einzuschränken. In der vergangenen Legislaturperiode scheiterte der SPD-Fraktionsvorsitzende Björn Tschöpe daran, dass nicht nur die Opposition – CDU wie Linke – dagegen waren, sondern auch der grüne Koalitionspartner.
Nun sollte in einem zweiten Anlauf alles ganz schnell gehen: Die seit Jahren diskutierte Änderung des Petitionsgesetzes wurde als „Dringlichkeitsantrag“ am 20. Juli eingebracht, schon auf der Juli-Sitzung sollte die erste Lesung stattfinden. Die CDU blockierte das mit dem Hinweis, die betroffenen Ausschüsse müssten ja erst einmal beraten.
Diese Beratung fand am gestrigen Mittwoch statt – unter einem für die SPD-Initiatoren schlechten Stern: Die Bürgerschaftskanzlei hat in einem internen „Vermerk“ klargestellt, dass die beabsichtigten Änderungen schlicht verfassungswidrig seien: „Die vorgeschlagenen Regelungen würden einen erheblichen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 17 GG bedeuten, der nicht von den Schranken des Petitionsrechts gedeckt ist.“ Der vorgegebene Zweck, dass „möglicherweise hohe Erwartungen der Petenten“ nicht enttäuscht werden sollten, rechtfertige nicht „die dargestellten, zum Teil erheblichen Eingriffe in das Grundrecht der Petitionsfreiheit“.
Zu dieser Schutzbehauptung hatte der Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Petitionsrechts, Reinhard Bockhofer, erklärt, die Bürger, die Petitionen einbrächten, seien erwachsene Menschen. In Wirklichkeit gehe es darum, „nervige Bürger“ loszuwerden, die von ihren Rechten Gebrauch machen wollen, sagt Rohmeyer.
In den letzten Legislaturperioden hatte die SPD den Vorsitz im Petitionsausschuss, einem Kontrollgremium der Verwaltung, immer der Opposition überlassen – diesmal beansprucht sie den Vorsitz für sich und wählte die Rechtsanwältin Insa Peters-Rehwinkel. Ihr Name steht neben dem von Björn Tschöpe unter dem „Dringlichkeitsantrag“ vom 20. Juli, sie hat aber nun kalte Füße bekommen.
Mustafa Öztürk (Die Grünen)
Da sie in den vergangenen vier Jahren nicht im Petitionsausschuss saß, habe sie die Vorbereitung dieses Antrages gar nicht mitbekommen, erklärte sie auf Nachfrage, und sie lege Wert drauf, dass man die Sache noch einmal mit einem „kritischen Blick“ betrachtet. Und dann der Vermerk der Bürgerschaftskanzlei: Da müsse man offenbar ein verfassungsrechtliches Gutachten bestellen. Und eine Anhörung sei vielleicht auch sinnvoll.
So wird der „Dringlichkeitsantrag“ nun auf die lange Bank geschoben – gegen den ausdrücklichen Wunsch des SPD-Fraktionsvorsitzenden. Dort war das Thema schon einmal: Sie habe vor vier Jahren in einem Unterausschuss des Petitionsausschusses gesessen, erinnert sich die frühere Grünen-Abgeordnete Marie Hoppe. In München habe man sich angeschaut, wie man die Rechte der Petenten ausweiten könne. Hoppe hatte sich jahrelang für Bürgerrechte eingesetzt, war von den Grünen dann auf einen hinteren Listenplatz gesetzt worden, und sitzt nun nicht mehr in der Bürgerschaft.
Auch ihr Nachfolger im Petitionsausschuss, Mustafa Öztürk, ist strikt dagegen. „Ich habe meine Bedenken auch in den letzten vier Jahren immer wieder geäußert“, sagt er. Und wundert sich, warum die eigene Fraktionsspitze den Tschöpe-Antrag unterzeichnet hat. Das sei im Zusammenhang mit den Koalitionsvereinbarungen mit der SPD so verhandelt worden, insistiert der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Felix Holefleisch. Zudem sei das eine sinnvolle Reform des Petitionsrechts.
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