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Sport bis zum Umfallen

ANSCHREIEN Der ehemalige Boxer Lothar Kannenberg betreibt in Bremen ein Erziehungsheim. Die Methoden sind umstritten

Kannenbergs Qualifikation ist die „Schule des Lebens“ und die damit einhergehende „Street Credibility“

von Simone Schnase

Er sei „kein Freund“ geschlossener Jugendhilfeeinrichtungen, aber „bei manchen Jugendlichen kommt man anders nicht weiter“. Das sagte der Boxtrainer und Jugendheimleiter Lothar Kannenberg in einem Interview mit dem Weser-Kurier im Februar. Damit ist er auf Linie mit dem Bremer Senat, der seit einem halben Jahr eine geschlossene Einrichtung für straffällig gewordene Jugendliche plant.

Ein Freund „robuster“ Jugendhilfe ist Kannenberg allemal: Seine „Akademie Kannenberg“ im Bremer Stadteil Rekum will den dort stationär untergebrachten Jugendlichen „Respekt“ durch Sport und strenge Regeln beibringen. Dabei ist Kannenberg kein Pädagoge, sondern Ex-Alkoholiker, Ex-Junkie, Ex-Boxer und Ex-Türsteher. Seine Qualifikation ist die „Schule des Lebens“ und die damit einhergehende „Street Credibility“.

Wie er die in der Praxis umsetzt, hat er auch schon im Fernsehen präsentiert, in einer Serie namens „Das Erziehungscamp“: Renitente Jugendliche mussten, manchmal bis zum Umfallen Sport treiben. Wer da nicht mitmachen wollte oder konnte, wurde angebrüllt. Für Regelverstöße musste die ganze Gruppe büßen – gern in Form von Liegestützen.

Diesem „Prinzip“ bescheinigte Kannenberg großen Erfolg: Die Rückfallquote der oft straffällig gewordenen Jugendlichen betrage lediglich 20 Prozent, behauptete er vor fünf Jahren in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung und verwies Zweifler an eine laufende Studie der Uni Kassel.

Die bestätigte ihn freilich nicht: Fast 60 Prozent der Jugendlichen, die ein „Trainingscamp“ von Kannenberg absolviert hatten, wurden rückfällig, so das Ergebnis – genauso hoch war die Quote bei jenen, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden.

Die Sanktionspraxis in den Kannenberg-Camps wird in der Studie als „kommunikativ rigide und häufig leiblich dominant“ beschrieben, Konflikt- und Krisenbewältigung zeichne sich durch „leibliche Präsenz und die Bereitschaft der PädagogInnen aus, in eskalierenden Konflikten die Jugendlichen unnachgiebig mit ihrem Fehlverhalten zu konfrontieren“. Kannenbergs Konzept berge „ein hohes Risiko der Verletzung der personalen Integrität der Jugendlichen“.

Wie in seinen Einrichtungen heute, knapp dreieinhalb Jahre nach Abschluss der Studie, gearbeitet wird, ist unklar: Auf Anfrage der taz äußert Kannenberg sich ausführlich, aber ausweichend. Aus „Datenschutzgründen“, schreibt er in einer dreiseitigen Stellungnahme, könne er nicht alle Fragen beantworten.

Unbeantwortet blieb etwa, ob er jemals Kontakt zur ­Friesenhof-Leiterin Barbara Janssen gehabt hat, die Kannenberg in einem Zeit-Artikel als Vorbild bezeichnet hatte. Oder wie viel Freizeit die Jugendlichen in der „Akademie“ in ­Rekum haben. Auch ob dort Kollektivstrafen verordnet werden, ob die Minderjährigen zur Schule gehen und welche Qualifikation jene Betreuer haben, die den Jugendlichen Sprachunterricht oder „Schulmaßnahmen“ erteilen, ist nicht ganz klar.

Denn: In Rekum sind ausschließlich auffällig gewordene, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht, die laut Kannenberg „zunächst Deutsch-Unterricht durch eigene MitarbeiterInnen“ bekommen. Danach besuchten sie „entweder die öffentliche Schule oder werden durch interne Schul- und/oder Beschäftigungsmaßnahmen auf die öffentliche Schule vorbereitet“.

Jeder Jugendliche erhalte ein „individuelles Erziehungskonzept“, unterteilt in „unterschiedliche Phasen“, in denen es „manchmal“ erforderlich sei, „dass der Jugendliche Kontakt zur alten Szene unterbricht. Damit einhergehend kann es förderlich sein, dass der Jugendliche für einen gewissen Zeitraum sein Handy abgibt“.

Über abschließbare Schränke verfügen die Jugendlichen nicht, „Wertsachen werden im Tresor des Aufnahme-Büros verwahrt“. Briefe würden innerhalb maximal einer Woche „zu einem für die Entwicklung des Jugendlichen guten Zeitpunkt“ ausgehändigt.

Für Kannenberg habe man sich entschieden, hieß es bei der Bremer Sozialbehörde, weil ansässige Jugendhilfeträger ­zurückhaltend gewesen seien bei der Intensiv-Betreuung ­„dieser“ Jugendlichen. Ganz so war es freilich nicht: Mit den Bremer Jugendhilfeträgern war lediglich eine stationäre Betreuung nicht zu machen – ambulante Intensiv-Maßnahmen ­hätten sie durchaus übernommen.

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