: Plötzlich ein Anderer
Psychologie Eine Krebserkrankung verändert nicht nur das Leben der Patienten, sondern manchmal ihre Persönlichkeit. Das hat auch medizinische Gründe
Eigentlich müsste sich Lena Gröne freuen. Ein Tumor an ihrer Schilddrüse wurde erfolgreich entfernt, genau wie einige Metastasen in den Lymphknoten. Die Radiojodtherapie schlägt gut an. Auf Hormonpräparate werde sie zwar ein Leben lang angewiesen sein, aber die Heilungschancen seien gut, sagen die Ärzte.
Doch tumorfrei fühlt sich die Studentin schlechter als vorher. Aus dem Bett zu kommen, fällt ihr immer schwerer. Stundenlang starrt sie an die Decke, macht sich düstere Gedanken. Die Lebensfreude früherer Tage ist verschwunden. „Während der Behandlung habe ich mich nicht krank gefühlt. Ich ging in die Uni, habe gejobbt und Freunde getroffen“, sagt Gröne. „Ich wollte tapfer sein.“
Keine ungewöhnliche Reaktion. Nach dem ersten Schock greift bei vielen eine Art natürliches Notfall-Programm. Sie gehen zu Spezialisten, lassen sich operieren oder beginnen die Chemotherapie. „Manchmal dauert es, bis sie ihre Situation in Gänze wahrnehmen und merken, wie groß die Belastung ist“, erklärt Carolin Müller, Psychologin der AWO-Krebsberatung in Hamburg. Ängste, Antriebslosigkeit und Phasen der Hoffnungslosigkeit sind deshalb während der Therapie und danach normal. Bedenklich wird es, wenn die depressiven Phasen über Monate anhalten.
Solche Wesensveränderungen sind nicht nur auf die Belastung während der Erkrankung zurückzuführen, sondern haben manchmal auch medizinische Ursachen. Zum Beispiel beeinflussen Tumore in der Schilddrüse oder den Nebennieren den Hormonspiegel. „Auch bei Gehirntumoren beobachten wir häufig neurologische Ausfallerscheinungen und Veränderungen in der Persönlichkeit“, erklärt Wolfgang Wick, Neuro-Onkologe in der Universitätsklinik Heidelberg. Manche Krebsleiden verursachen sogar Beschwerden, die nicht direkt auf Tumore zurückzuführen sind. Durch die sogenannten Paraneoplasien kann es zu Schädigungen in Gehirn und Nervensystem kommen. Die Folgen dieser Autoimmunreaktionen reichen von demenzähnlichen Symptomen über Depression bis zur Aggression.
Gröne hilft am Ende vor allem der Gang zur AWO-Krebsberatungsstelle. Schon wenige Tage später bekommt die 23-Jährige einen Gesprächstermin und fühlt sich gut aufgehoben. „Ich konnte all die Dinge erzählen, die ich meinen Freunden und der Familie nicht zumuten wollte“, sagt sie. Auf Rat der Psychologinnen macht sie außerdem eine Reha für junge Krebspatienten und geht bis heute regelmäßig zu einer Onkopsychologin. Das Studium hat sie wieder aufgenommen, auch körperlich geht es ihr wieder gut. Birk Grüling
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen