: Der Support im Hintergrund
Betreuung Nachdem sich ein St. Pauli-Fan vor einem Jahr das Leben nahm, haben zwölf Menschen den Hilfsverein „St. Depri“ zur Unterstützung von Depressiven gegründet
Wie ein grauer Schleier legt sie sich über den Alltag. Man hat keine Lust, das Haus zu verlassen, schon das Aufstehen am Morgen wird zu einer Belastungsprobe. Dinge, für die man sich früher interessierte, werden belanglos. Die Rede ist von der Depression. Eine Krankheit, die lange tabu war, unter der laut Bundesgesundheitsministerium aber vier Millionen Menschen in Deutschland leiden.
Es ist eine Krankheit, die auch St. Pauli-Fans betrifft. Für Michel D. zum Beispiel kam jede Hilfe zu spät. Er wusste keinen Ausweg und nahm sich im August 2014 das Leben. Niemand hatte bemerkt, wie schlecht es ihm ging: Die Wochenenden verbrachte er mit seinen Freunden im Millerntor-Stadion: Gemeinsam fieberten sie bei St. Pauli-Spielen mit, danach tranken sie Bier in der Fan-Kneipe Jolly Roger – doch was er wirklich fühlte, ahnte keiner.
„Wir wollen nicht, dass so etwas noch einmal passiert. Es gibt heute so viele Hilfsmöglichkeiten. Da kann es nicht sein, dass nicht zumindest einer mal versucht, das Leben eines Depressiven zu retten“, sagt der Psychologe Roland Thiel. Gemeinsam mit Christian Knoblich, Maren Lausch, Tanja Paul, Miriam Schrum und Jasmin Sadre Chirazi hat er nach Michels Suizid den Verein „St. Depri“ gegründet, der depressiven St. Pauli-Fans helfen soll.
Der Verein besteht aus zwölf Menschen, die entweder selbst betroffen, Angehörige oder professionell mit dem Krankheitsbild befasst sind. Psychiater, Psychotherapeuten, ein Jurist und ein Sportpädagoge sind dabei. Einige von ihnen kannten Michel sehr gut. „Wir alle bringen uns nach unseren Möglichkeiten ein“, erzählt Thiel. So ist es ihnen Schritt für Schritt gelungen, ein Netzwerk aus Psychotherapeuten aufzubauen, an die sie Stammtisch-Besucher bei Bedarf verweisen.
„Wir wollen vermeiden, dass jemand jahrelang mit einer unbemerkten Depression durch die Welt geht“, erklärt der Therapeut. „Die Wartezeiten für eine Psychotherapie sind oft lang, aber dank unseres Netzwerks können wir kurzfristig Termine vereinbaren.“
„Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz über die Psychotherapie hinaus und versuchen Hilfe in den Bereichen anzubieten, in denen Depressive scheitern“, erklärt auch Psychotherapeutin Miriam Schrum, die in ihrer Praxis Zeitpuffer für depressive St. Paulianer freihält. Der Jurist wiederum hilft, wenn Wohnungen geräumt werden sollen, weil Betroffene nicht in der Lage waren, ihre Post zu öffnen. Und der Sportpädagoge macht mit den Stammtisch-Besuchern einmal pro Woche Sport. Dabei geht es um die Lust an der Bewegung. Neben „klassischen“ Sportarten soll es bald eine Yoga-Gruppe und eine für Progressive Muskelentspannung geben.
„Wenn der Depressive seiner Stimmung folgte, würde er gar nichts mehr tun. Er würde keine Leute mehr treffen, das Haus nicht verlassen. Dadurch wird die Stimmung aber noch schlechter, und das ist ein Teufelskreis“, erklärt Thiel. St. Depri hilft auch hier – durch ein Paten-Projekt. „Es wäre schrecklich, wenn jemand zu einem Spiel gehen wollte, sich aber allein nicht aufraffen könnte. Deshalb gibt es St. Pauli-Fans, die depressive Anhänger zu Heimspielen des FC St. Pauli abholen und begleiten“, sagt Thiel.
Fester Termin der St. Deprianer ist der monatliche Stammtisch. An jedem dritten Donnerstag trifft sich der Verein, um über krankheitsbezogene Themen wie „Depression in einer Partnerschaft“ oder Therapiemöglichkeiten zu sprechen. Und vor dem Stammtisch trifft sich die Brieföffner-Gruppe. „Hier öffnen wir gemeinsam mit Menschen Briefe. Manchmal ist man bei einer Depression nicht mehr fähig, seine Post zu öffnen und mit dem Inhalt umzugehen“, sagt Tanja Paul von St. Depri. Wenn man das gemeinsam tue, könne man auch zusammen überlegen, wie man auf die Briefe reagiere. Das Projekt kommt an: 50 Menschen kommen im Schnitt zum Stammtisch im Fanladen St. Pauli.
Der Verein bietet als einziger ein Hilfsprojekt an für depressive Fans im deutschen Fußball. Sogar Fans von Werder Bremen kommen angereist, um dieses Angebot wahrzunehmen. „Wir sind alle St. Paulianer und teilen die Liebe zum Verein. Ich finde es wichtig, dass das Thema Depression in der eigenen Fan-Szene angesprochen wird und dass man im Verein offen mit dem Thema umgehen kann“, sagt Miriam Schrum.
Larissa Robitzsch
Der St Depri-Stammtisch findet statr an jedem dritten Donnerstag im Monat, 19.30 Uhr, Fanladen St. Pauli, Harald-Stender-Platz 1
www.st-depri.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen