piwik no script img

Die Alchemie des Unvorhersehbaren

Ausstellung „Carrefour/Treffpunkt“ hat die Kuratorin Alya Sebti ihren Versuch überschrieben, eine Art Essenz der bislang fünf Marrakech-Biennalen zu präsentieren. Die ifa-Galerie hat diese Essenz jetzt nach Berlin geholt

Clara Meisters Soundinstallation von Singenden Landkarten und zugrunde liegenden Melodien Foto: ifa

von Ingo Arend

Drei Tafeln blau, so blau wie das Mittelmeer. Der Blick verengt auf die Wellen, darüber drei dunkle menschliche Torsi. Aus einer Tonspur hört man Flüchtlinge ihre verzweifelte Lage resümieren. Zurückkehren? Weiterfahren? Bleiben?

„Crossings/Übergänge“ heißt die Videoarbeit der französisch-marokkanischen Künstlerin Leila Alaoui. Aus der Perspektive von Migranten aus der Subsahara lässt sie den Betrachter eine Flucht nachvollziehen. Ungewollt zeigt das Wort die Kehrseite des positiv gedachten Titels der Ausstellung in der ifa-Galerie, der Berliner Dependance des Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen.

„Carrefour/Treffpunkt“ hat Alya Sebti, die künstlerische Leiterin der vergangenes Jahr zum fünften Mal veranstalteten Marrakech-Biennale, ihren Versuch überschrieben, eine Art Essenz der noch jungen Schau zu präsentieren. Darin wird die 1.000 Jahre alte Stadt im Nordwesten Marokkos als „kultureller, geografischer und künstlerischer Knotenpunkt“ annonciert.

Alaouis sechsminütiges Video zeigt freilich, dass die nahe nordafrikanische Küste oft genug gerade nicht zum Zentrum wechselseitiger Kulturbegegnungen wird, sondern zur Rampe in ein einsames Grab. Für die Flüchtlinge, die im Mittelmeer sterben, gibt es höchstens einen Treffpunkt in der Unendlichkeit – des Todes.

Die Idee der kleinen Ausstellung ist interessant. Mit ihr will das vom Auswärtigen Amt finanzierte ifa Verständnis für die (von ihm unterstützten) Biennalen im Windschatten der großen Flaggschiffe wie Venedig wecken. Ungewollt demons­triert sie allerdings die Schwierigkeit, Idee und Atmosphäre einer Biennale zu vermitteln.

Die Biennalen der „zweiten Reihe“ sind besonders. Meist wachsen sie aus der Zivilgesellschaft am jeweiligen Ort, reflektieren kritische, kreative „glokale“ Problemlagen. „Man muss in einem Kontext arbeiten, man kann nicht außerhalb davon tätig sein“ begründete Hicham Khalidi, Sebtis holländisch-marokkanischer Kokurator der 5. Marrakech-Biennale vergangenes Jahr, warum er die Biennale mit einer sozio­kulturellen Feldforschung in dem Land vorbereitete, das Reporter ohne Grenzen auf Platz 136 der Skala für Pressefreiheit einordnet.

Derlei Kontexte können Besucher der Schau bestenfalls erahnen. Sebti lockt glücklicherweise nicht mit den süßen Orientalismen, die einem bei dem Mythos Marrakech quasi auf den Lippen liegen. Die Dezentrierung und Öffnung des Selbst, auf die sie hinauswill, ist freilich sehr abgehoben. Die zwei Masken aus Hartpappe und Draht des französischen Bildhauers Max Boufathal symbolisieren Sebtis Zentralidee nur recht allgemein. Und in dem nüchternen Ausstellungsraum hängt die Soundinstallation der deutschen Künstlerin Clara Meister „Singing Maps and Underlying Melodies“ seltsam in der Luft.

Die Biennalen der „zweiten Reihe“ gründen oft in „glokalen“ Themen

Wer wissen will, wie die „alternative Kartierung“ Marrakeschs mit Konzerten lokaler Musiker ausgesehen haben könnte, wird sich das anhand des Stadtplans, des achteckigen, aufklappbaren Modells der Medina von Marrakesch und Musik aus Lautsprechern nur schwer vorstellen können. Und eher das Video der Aktion im Netz betrachten. Da zieht eine Gruppe von Musikanten durch die engen Gassen und überfüllten Märkte des historischen Altstadtquartiers.

Auch bei Saâdane Afifs „Souvenir: La leçon de géométrie“ entweicht das Entscheidende seiner Aktion. Die Kegel, Pyramiden und Quader, die er auf einem Tisch nebeneinandergestellt hat, sind zwar Symbole, die verschiedene Kulturen verbinden. Die Dynamik des von ihm initiierten Open-Air-Unterrichts in Marrakesch im letzten Jahr, mit täglich wechselnden Lehrern und Publikum, transportieren sie nicht.

„Undress“ heißt schließlich eine Rauminstallation, bei der aus acht, im Raum verteilten Boxen Düfte von Bergamotte, Sandelholz und Orange entströmen. Die japanische Künstler Megumi Matsubara hat Reisen durch Nordafrika in poetische Geschichten übersetzt, aus denen ein Parfumeur wieder Duftkompositionen kreiert hat. Im Raum vermischen sie sich zu einem Metaparfüm, das die Künstlerin „La Japonaise“ genannt hat. Dessen Duft hängt aber immer von den Bewegungen der Besucher ab. Matsu­bara geht es um „Enttblößung“ – aber hier wird auch die Alchemie des Unvorhersehbaren, die den „Treffpunkt“ auszeichnet, sinnlich.

Bis 8. Oktober, Carrefour/Treffpunkt. Die Marrakech-Biennale und darüber hinaus. ifa-Galerie, Linienstraße 139, Di.–S0., 14–18 Uhr. Die gleichnamige ifa-Publikation mit Texten von Alya Sebti, Bonaventure Soh Beng Ndikung, Angelika Stepken und anderen hat 80 Seiten und kostet 7 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen