Fernsehsender und Internet-TV: „Cheap, fast and dirty“

ARD-Korrespondentin Dittert testet, wie Internet-TV funktioniert. Ihr Fazit: eine Bereicherung – die nicht von den Sendern ausgenutzt werden darf.

Ein Mann lehnt in London an einer Wand

„Mir fehlt oft die Distanz, wenn ich selbst drehe und schneide“: Standbild aus einem Video von Annette Dittert. Screenshot: Youtube / Annette Dittert

LONDON taz | Nein, das ist nicht nur etwas für kanalverliebte Romantiker. In London leben immer mehr Menschen auf Hausbooten. Dass die horrenden Mieten diese alternative Lebensform befördern, hat das ARD-Studio in London neulich in einem kleinen Film verarbeitet. Die Reporterin hat dafür eine junge Lehrerin besucht. Genauso gut hätte sie allerdings bei ihrer Kollegin vorbeischauen können: Annette Dittert, die in ihren Beiträgen bisweilen erschreckend gute Laune verbreitet, lebt auf „Emilia“ – ihrem eigenen Hausboot.

„Ich wollte nach 16 Jahren Auslandskorrespondentin endlich mal das Gefühl haben, zu Hause zu sein“, sagt Dittert. Sie hat aus den Studios Moskau, Warschau und New York berichtet und zuletzt aus London. Als nach ein paar Jahren der nächste Wechsel anstand, war für sie klar: Die Journalistin Annette Dittert zieht weiter, die Privatfrau Annette Dittert aber bleibt in London. Also ließ sich die 52-Jährige auf ein Experiment ein: Sie nahm sich eine Auszeit, entwarf ein eigenes Hausboot und ließ es im Norden Englands bauen.

Dittert hat sich gegen das „Constant Cruising“ entschieden, sie hat also einen festen Anlegeplatz – gegen Gebühr. Ihr Areal liegt abgeschirmt hinter einem Zaun – wie eine kleine Berliner Schrebergartenkolonie. Wenn Dittert nach draußen schaut, dann blickt sie auf der einen Seite auf den Kanal mit weiteren Hausbooten. Auf der anderen Seite stehen die Villen der Prominenz. Das mit den Hausbooten sei eigentlich „eine Form des Social Hacks“, sagt Dittert und erzählt: Wenn ihre Post mal wieder falsch zugestellt wurde, „dann bringt mir schon mal die Haushälterin des U2-Gitarristen Briefe vorbei“.

Internet, warmes Wasser, Gas – „Emilia“ bietet maximalen Komfort auf minimalem Platz. Der rote Karren, der es nur auf fünf Stundenkilometer bringt und deshalb nicht für eine ausgiebige Kanalfahrt oder gar eine Rundreise auf dem Wasser geeignet wäre, ist vielmehr ein kleines Produktionsstudio. Denn Dittert hat ihre Auszeit, die in diesen Tagen auslief, für ein weiteres Experiment genutzt. Ihre Frage: Wie geht das eigentlich – Fernsehmachen in der „Generation YouTube“?

Als sie Korrespondentin war, also bis Ende 2014, bestückte Dittert noch ihre eher kurzweilige Reihe London Calling mit ihren Anekdoten und schrägen Beobachtungen aus der britischen Metropole – schon das war meist ein Hingucker. Für die Filme, die nach wie vor auf tagesschau.de stehen, hatte die Reporterin allerdings Zugriff auf ein Kamerateam und einen Cutter, der aus dem Material einen Film bastelt. Ihr Projekt London Calling Unplugged ist hingegen komplett selbstgemacht.

Dittert spricht dann auch von ihrem Wunsch, „mal raus aus dem Apparat zu gehen und das Pippi-Langstrumpf-mäßig selbst zu probieren“. Das Ergebnis sei „cheap, fast and dirty“, sagt sie, nachdem sie ihre Technik hervorgekramt hat – aus dem Backofen, dort war noch Platz. Ihr Smartphone hat sie ja ohnehin immer dabei, dazu kommen noch kleine Stative und eine handgroße LED-Leuchte. Den Schnitt erledigt sie auf ihrem Laptop, der auch ihr Fernseher ist. Sie muss Platz sparen, wo sie kann. Bis auf ein größeres Stativ passt alles in ihre Handtasche. Die „One-Woman-Show“ ist mobil.

Verlorenes Technikmonopol

„Das Aufnehmen, das Drehen, das kannte ich als Autorin“, berichtet die Journalistin, die 1984 beim Sender Freies Berlin mit dem „großen“ Fernsehen begann. „Das Schwierigste war das Schneiden.“ Sie flucht ein wenig über „Final Cut“, ihr Schnittprogramm. Dieser Teil, die sogenannte Postproduktion nach den Dreharbeiten, sei ihr selbst besonders schwergefallen. „Hier habe ich erst mal eine Weile fummeln und Tricks lernen müssen.“

Zehn Folgen London Calling Unplugged hat Dittert in ihrer Auszeit produziert, auf YouTube sowie einem eigenen Blog platziert. Sie hat ihre Netz-Zuschauer unter anderem auf einen vergessenen Friedhof und in einen Tea-Room mitgenommen. Ein richtiger YouTube-Star ist sie damit zwar nicht gleich geworden. Ihre Konsequenz hat ihr aber im Sabbatical ein paar Vorträge eingebracht für London-Besucher, die auf Geheimtipps stehen. Vor allem aber hat die Journalistin so einen Einblick in die neue Videowelt gewonnen: Die Technik ist inzwischen derart beherrschbar und nicht zuletzt auch bezahlbar, dass die Sender ihr Technikmonopol verloren haben, auch für vergleichsweise aufwändigere Produktionen.

Etablierte FilmemacherInnen versuchen deshalb – mal mehr, mal weniger verkrampft – den Anschluss zu finden. Die Akademien der Sender haben dafür Seminare mit Titeln wie „Smartphone statt Reportagegerät: Technik, Einsatzmöglichkeiten, Qualität“ in ihr Programm aufgenommen. Erste Sender gehen mit dem Smartphone zudem sogar live auf Sendung. Die „Tagesschau“-App bietet dafür für Korrespondenten in einer internen Version eine spezielle Funktion: Drücken ReporterInnen den entsprechenden Knopf der erweiterten App, baut das Smartphone eine „Leitung“ zum Schaltraum in Hamburg auf.

So weit ist Dittert nicht gegangen. Aber sie weiß nun ziemlich genau, was mit dem Smartphone alles möglich ist – und was nicht. Das Do-it-yourself-Fernsehen sei nämlich kein Patentrezept: So dauere etwa alles deutlich länger, wenn eine Person den Job vieler KollegInnen machen müsse. Dazu kommt, dass die Technik manchmal unberechenbar sei, etwa die Speicher- und Rechenzeiten beim TV-Schnitt. Das wiederum hat auch YouTube-Profi LeFloid neulich gemerkt: Sein Exklusivinterview mit der Bundeskanzlerin konnte er erst fast zwei Stunden später hochladen – sein Schnittprogramm rechnete länger als gedacht.

Fehlende Distanz

„Mir fehlt etwa außerdem oft die Distanz, wenn ich selbst drehe und schneide“, berichtet Dittert. Ein Kamera-Profi schaffe hingegen Abstand zu den Gesprächspartnern und ProgatonistInnen. Und auch ohne CutterInnen gehe „ein Stück weit der kreative Input verloren“. Das TV-Geschäft verarme damit.

Die Korrespondentin ist heute der Meinung: Wenn es um Persönliches geht, wenn Nähe dem Format hilft, dann sei das handliche Equipment Gold wert – „vielleicht bei einer Reportage, die einen Sterbenden begleitet“. Dittert sagt aber auch klar: „Ich hoffe, dass das nicht aus Spargründen irgendwann für alles verordnet wird.“ Immerhin wolle sie ja auch selbst noch opulente Filme produzieren, mit einem klassischen TV-Team.

Tatsächlich hat Dittert in der zehnten Folge ihrer hausgemachten Reihe bye-bye gesagt – „vorerst“. Neuerdings pendelt sie zwischen London und Hamburg. Dort arbeitet sie künftig für den NDR an Reportagen aus aller Welt – ganz klassisch, ohne Smartphone.

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