: Rangeleien vor dem Lageso
Flüchtlinge Vierzig Polizisten lösen Tumulte vor dem Lageso auf – Amt erhöht Essensrationen, die medizinische Versorgung bleibt prekär
Der Polizist stößt den aufgebrachten Flüchtling nach hinten. Er hält ihm ein Pfefferspray fünf Zentimeter vor den Kopf. Seine drohenden Rufe sind deutlich zu hören: „Ich geb dir Pfeffer.“ Erst als sich der Flüchtling sichtlich beruhigt hat, lässt der Polizist den Arm mit dem Spray sinken. Der Beamte und seine rund vierzig Kollegen sind am Dienstagnachmittag am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) im Einsatz. Sie versuchen, unter den wartenden Flüchtlingen für Ruhe zu sorgen.
Die Vorgeschichte: Es muss gegen 2 Uhr gewesen sein, als die Sachbearbeiter im Amt aufhörten, Karten mit Nummern an die Flüchtlinge zu verteilen. Das berichteten mehrere Augenzeugen. Wessen Nummer aufgerufen wird, darf zur Registrierung. Weil das Amt keine mehr herausgab, wurden die zum Teil seit Wochen wartenden Flüchtlinge nervös. Nach und nach ertönten immer mehr aufgebrachte Rufe. Jedes Mal, wenn ein Flüchtling zur Registrierung in das Gebäude gelassen wurde, applaudierten die Menschen höhnisch. Die Menge wurde immer aufgebrachter.
„Als ich die Tumulte sah, habe ich die Polizei gerufen“, erzählt ein Mitarbeiter der Initiative „Moabit hilft“. Die Polizisten griffen dann einzelne Flüchtlinge aus der Meute heraus. „Sie wollten wohl die vermeintlichen Anstifter von der Gruppe trennen“, sagte Augenzeuge Gustav Pursche. Eine gute halbe Stunde nachdem die Polizisten eingetroffen waren, beruhigte sich die Situation wieder.
Behandlungszimmer fehlt
Derweil hat das Lageso die Essensrationen für die Flüchtlinge erhöht. Der georderte „Vivantes“-Catering-Dienst verteilte am Dienstagmittag 1.000 Suppen sowie Sandwiches, Müsliriegel und Obst. Am Montag hatte der Caterer erstmals Essenspakete geliefert, nachdem zuvor ausschließlich Freiwillige die Flüchtlinge versorgt hatten. Die Pakete reichten jedoch längst nicht aus (die taz berichtete).
Wie angekündigt kamen nun Suppen hinzu. Doch nicht nur das: „Diesmal war mindestens das Doppelte der Menge von Montag da“, sagte Laszlo Hubert von „Moabit hilft“. Die freiwilligen Helfer der Initiative unterstützten die Profis vom Catering-Dienst beim Verteilen des Essens.
Ebenfalls am Dienstag begann das Lageso ein Versammlungszelt aufzustellen. Darin sollen die Flüchtlinge ab Mittwoch ihre Mahlzeiten sitzend einnehmen können. Außerdem haben am Dienstag laut Senatsverwaltung 24 neue Sachbearbeiter am Lageso ihre Arbeit aufgenommen, um das überforderte Amt zu entlasten.
Die versprochenen Behandlungszimmer für ehrenamtliche Ärzte sind jedoch immer noch nicht eingerichtet. „Das Amt hat uns mitgeteilt, dass die Zimmer erst in zwei bis drei Wochen fertig werden“, sagte Hubert von „Moabit hilft“. Deshalb helfen die Freiwilligen jetzt auch bei der Einrichtung der Zimmer. Julian Rodemann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen