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Weg aus den archaischen Bergdörfern

Albanien Früher zogen Arbeitsemigranten ins benachbarte Griechenland. Seit dort die Krise zugeschlagen hat, hoffen vor allem die Bewohner des armen Nordens Albaniens auf Jobs in Deutschland. Den Intellektuellen des Landes ist das peinlich

Schlepper helfen beim Verkauf der Habe. Und bei der Fahrt ins unbekannte Land

SARAJEVO taz | Das Flüchtlingsdrama aus dem Nahen Osten löst auch in Albanien Mitgefühl aus. Ilda Mara ist eine bekannte Kunsthistorikerin und Journalistin in Tirana, sie war selbst einmal Flüchtling, fühlte sich politisch verfolgt und verbrachte lange Jahre in Frankreich. Vor einem Jahrzehnt kam sie zurück und veröffentlicht nun unter anderem Bücher über die Kunstschätze der Städte Tirana, Gjirokaster und Vlora. Ihre Bildbände erreichen Kultstatus.

Es sei eine große Tragödie, nicht nur für die Menschen, auch für die unwiederbringlichen Kunstschätze der Region, erklärte Mara kürzlich in Bezug auf den Syrienkonflikt.

Dass nun auch Albaner zu Tausenden gen Norden fliehen, ist für sie wie für viele Intellektuelle aus Tirana irgendwie peinlich. Versuchen sie doch, das Ansehen Albaniens in Europa und der Welt zu heben. Dass viele Bewohner Nordalbaniens hoffen, in Deutschland, Österreich oder Schweden Arbeit zu finden, sei Ausdruck des Armutsgefälles im Lande, ist ihre Meinung.

Noch vor wenigen Jahren waren Griechenland und Italien das Ziel albanischer Arbeitsemi­granten, Hunderttausende arbeiteten in der Gastronomie in den Touristenzentren Griechenlands und Italiens, waren Sai­son­arbeiter bei der Wein- und Gemüseernte. Vor allem Südalbaner zog es ins benachbarte Griechenland. Doch die wirtschaftliche Krise dort hat die Aussichten, Arbeit zu finden, dramatisch verdüstert. Auch Italien ist nicht mehr so attraktiv wie früher. Die dort zunehmend brutale Ausbeutung von Arbeitsimmigranten und Flüchtlingen vor allem in der Landwirtschaft und auf dem Bau hat sich in Albanien herumgesprochen.

Zwar sind die sehenswerten Küsten Südalbaniens mit ihren breiten Sandstränden und Restaurants nun selbst Attraktion für Touristen aus Europa geworden. Doch die Armutsprobleme des Landes insgesamt lösen kann der regionale Boom nicht. Unter der Regierung des Sozialdemokraten Edi Rama hat sich die gesamte Wirtschaftslage in den letzten Jahren leicht verbessert, doch in den Bergdörfern im Norden ist davon nichts angekommen.

Dort, inmitten der unzugänglichen albanischen Alpen, läuft das Leben noch archaisch ab. Es ist eine klassische Auswandererregion. Die Kleinbauern besitzen neben ein paar Kühen noch Schafe und Ziegen. Die Menschen drängen seit altersher an die Küste nach Durres oder Tirana, doch bei der überall herrschenden Arbeitslosigkeit sind die Aussichten auf ein besseres Leben dort nach wie vor schlecht. Jetzt lockt Deutschland, oder „Europa“, wie die Leute sagen.

Man vertraue den Berichten von Freunden und Verwandten, meint der langjährige Albanienkenner und Chef des Büros der Friedrich Ebert-Stiftung in Tirana, Frank Hantke.

Manche dieser „Freunde“ handeln im eigenen Interesse. „Nachdem wir im Kosovo im Frühjahr mit massiven Informationskampagnen in den Medien das Asylrecht in Deutschland erklärt haben, ist die Fluchtwelle aus Kosovo ziemlich schnell abgeebbt“, erklärte Exaußenminister Enver Hoxhaj der taz. Die ersten enttäuschten Rückkehrer waren nun ärmer als zuvor. „Die gut organisierten Schlepper zogen sich aus Kosovo zurück und sind nach Nordalbanien gegangen.“

Dort schilderten sie den Dörf­lern, wie leicht es in Deutschland sei, Arbeit zu finden, und dass die Deutschen den Neuankömmlingen Wohnungen bereitstellten. Die nicht gerade hochgebildeten Dörfler glauben diesen Verheißungen. Die Schlepper helfen – gegen ein Entgelt – beim Verkauf der Habe. Und sie „helfen“ auch bei der Fahrt ins unbekannte Land.

Die Route führt in die montenegrinische Grenzstadt Rozaj. „Jeden Tag starten dort mehrere Busse Richtung Norden“, erklärt ein deutscher Reisender, der sich vor wenigen Tagen noch in Rozaj aufgehalten hat. Doch ist es auch möglich, über die Berge in die vor allem von Albanern bewohnte montenegrinische Küstenstadt Ulcinj zu gelangen, von wo aus die Flüchtlinge mit Bussen weiterreisen können.

Erich Rathfelder

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