: Marlon Brandos schmutzige Hosen
JEANS Aus der einstigen Rebellenkluft ist eine Allerweltsklamotte geworden, mit den gleichen Nebenwirkungen wie jede Baumwollkleidung: Umweltzerstörung und unfaire Arbeitsbedingungen
von Heike Holdinghausen
Levi Strauss schwärmt von Marlon Brando; war das schön, als er in Jeans und T-Shirt in „Der Wilde“ über den Bildschirm fegte. Die blauen Hosen seien berüchtigt und gefährlich, das Kleidungsstück für gesellschaftliche Außenseiter gewesen, berichtet der milliardenschwere Jeans-Konzern auf seiner Website. Die Hose aus dem quer gewebten, festen Baumwollstoff – eine Köperbindung, auf Fachchinesisch – war als Funktionskleidung für Goldschürfer entwickelt worden, belastbar, mit reißfesten Nähten und mit nietenverstärkten Taschen, in die Arbeiter Steine und Werkzeuge stecken konnten. Als Arbeitshose aus Kalifornien wanderte die Jeans Anfang des 20. Jahrhunderts als lässige Freizeithose an die Ostküste.
Die Deutschen entdeckten sie nach dem Zweiten Weltkrieg für sich. Amerikanische Soldaten brachten sie über den Atlantik. Seit 1948 wurden sie in Deutschland auch selbst genäht, von der L.-Hermann-Kleiderfabrik im hohenlohischen Künzelsau. Gegründet wurde sie von Luise Hermann im ersten Stock ihres Wohnhauses als Nähfabrik für Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst. Schnell fand die findige Unternehmerfamilie nach dem Krieg Ersatz für die verlorene Kundschaft: Von Frankfurter GIs erhielt sie Schnittmuster für Bluejeans und bald schon den ersten Auftrag für 300 Arbeitshosen aus dem blauen Stoff. Das Geschäft wuchs. Ende der 50er Jahre gab sich die Kleiderfabrik einen neuen Namen und wählte den Namen Mustang, das klang nach Freiheit, Wild West und Amerika. Seinen Sitz hat Mustang auch heute noch in Künzelsau, Luise Hermanns Wohnhaus ist inzwischen ein Jeans-Museum.
Marketing, Design und Vertrieb sitzen noch vor Ort, produziert wird in Asien, Tunesien, Ägypten und Marokko – typisch für die Bekleidungsindustrie. Ebenfalls typisch: Die Produzenten vor Ort, die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken, verdienen am wenigsten an den blauen Hosen. Vor zwei Jahren veröffentlichte der Nachrichtendienst Bloomberg eine Preiskalkulation für eine Jeans, die in Großbritannien in einem Discounter für umgerechnet 22,12 US-Dollar verkauft wurde. Fast die Hälfte, nämlich 10,50 Dollar, ging für Vertrieb und Kosten für den Laden drauf; der Transport schlug mit 4,33 Dollar zu Buche. Das Material, also etwa Stoff und Knöpfe, kosteten 3,94, der Zuschnitt 1,05 Dollar. Für Wäsche und andere Arbeitsgänge zahlte der Hersteller 1,13 Dollar – und ganze 1,16 Dollar bekam die Fabrik in Bangladesch, in der die Jeans genäht wurde. Darin enthalten: die Löhne für die Arbeiterinnen sowie Geld für Sicherheitsvorkehrungen wie Brandschutz.
Die Herstellung der lässigen Hose hinterlässt in den Produktionsländern eine große Schmutzspur. 1,6 Kilogramm Chemikalien stecken rechnerisch in jeder einzelnen. Um ihre typische Indigo-Färbung zu erreichen, wird das Garn auf Basis von Schwefelfarbstoffen gefärbt. Damit sich die eigentlich harmlosen Stoffe fest auf die Baumwollfasern legen und eine dunkelblaue Färbung entfalten, muss ein Reduktionsmittel zugegeben werden: stark ätzendes und giftiges Natriumsulfid. Eingeleitet in Flüsse oder Bäche, tötet es Fische und Würmer. Manager von Bekleidungsunternehmen erzählen im persönlichen Gespräch, Anlagen dafür „bekämen Sie hier ja gar nicht mehr genehmigt“. Darum haben sie die Problematik nach Fernost verschoben, und hiesige Umweltminister freuen sich über saubere Flüsse. In China hingegen gelten zwei Drittel aller Flüsse und Seen als verseucht. Dafür sind nicht allein die Jeansfirmen verantwortlich, aber ihr Beitrag ist bedeutsam. In China gehört die Textilbranche deshalb zu den sieben Kernindustrien, in denen die Regierung inzwischen besondere Anstrengungen im Umweltschutz verlangt.
Für die Arbeiter in den Textilfabriken besonders unangenehm wird es, wenn die Verbraucher Jeans im „used look“ wollen. Dann muss die Farbe wieder von den Hosen runter. Noch immer werden sie für diese Optik mit hauchfeinem Sand bespritzt, obwohl die Methode für die Arbeiter gesundheitsschädlich und eigentlich geächtet ist. Die gängige Alternative zum Sandstrahlen ist nicht gesünder: Kaliumpermanganat bewirkt aufgesprüht ebenfalls den „used look“. Es vergiftet Gewässer, wirkt ätzend, und Stäube, die Kaliumpermanganat enthalten, können die Hornhaut trüben. Doch es gibt auch ganz andere Wege, die vor allem Ökolabels nutzen: etwa Bleichmethoden mittels Ozon, das nach dem Vorgang in Sauerstoff zerfällt. Oder Jeans werden mit Bimssteinen gewaschen und sehen danach aus wie getragen.
Die Probleme der Jeans beginnen jedoch nicht erst in der Waschmaschine, sondern schon mit dem Anbau ihres Rohstoffs Baumwolle. In trockenen Regionen wie Usbekistan oder Ägypten muss die Pflanze künstlich bewässert werden, das schadet den örtlichen Wasserkreisläufen erheblich. Flüsse und Seen trocknen aus, der Grundwasserspiegel sinkt, die Böden versalzen. Usbekistan ist im Begriff, mit seinem ausgedehnten Baumwollanbau Großteile der Ackerfläche durch Salz und Gift unbrauchbar zu machen. Der Aralsee schrumpft bedrohlich. Der Rio Grande, der als „großer Fluss“ in den Rocky Mountains entspringt und in Mexiko als Río Bravo, also „wilder Fluss“, endet, versickert 40 Kilometer vor dem Golf von Mexiko mickrig und leise im Sand, vom Baumwollanbau aufgesogen.
Baumwollfelder benötigen nicht nur viel Wasser, sondern werden auch intensiv mit Gift behandelt. Obwohl nur auf etwa 2 Prozent der weltweiten Ackerflächen Baumwolle wächst, landen rund ein Viertel der eingesetzten Ackergifte auf dieser Pflanze, etwa Wachstumsregulatoren, Entlaubungsmittel bei der Ernte und Herbizide zur Unkrautvernichtung. Viele Insekten sind inzwischen resistent gegen die zum Teil hochgiftigen Mittel, sodass ein unheilvolles Hochrüsten auf dem Acker begonnen hat.
Unter dem Verdacht, das an sich natürliche Gleichgewicht zwischen Schädlingen und ihren Feinden ins Wanken zu bringen, steht auch die Genbaumwolle, die inzwischen in 15 Ländern angebaut wird und etwa 68 Prozent der weltweiten Baumwollanbaufläche einnimmt. Seit einigen Jahren werden vor allem die Äcker in China hartnäckig von bestimmten Wanzen befallen, mit denen die Baumwolle früher gut selbst fertig wurde. Schließlich können sich auch Pflanzen gegen ihre Feinde wehren, etwa mit Aromen. Gentechnisch veränderte Baumwolle scheint jedoch an Wehrhaftigkeit eingebüßt zu haben. Allein die US-Landwirte müssen jährlich etwa 250 Millionen Dollar ausgeben, nur um den Amerikanischen Baumwollkapselbohrer zu bekämpfen (was ihnen nur durch hohe Subventionen möglich ist).
Dabei ginge es auch anders. Eine Langzeitstudie in Indien zwischen 2007 und 2010 hat gezeigt, dass Biobaumwolle, die ohne Gifte und Stickstoffdünger auskommt, genauso einkömmlich ist wie ihr konventioneller Konkurrent. Zwar lagen die Erträge der Biofelder unter denen der Vergleichsflächen. Aber die Bauern brauchten dafür weniger Kosten zu stemmen, weil sie etwa keine Chemikalien kaufen mussten. Trotzdem werden in Indien derzeit auf 99 Prozent der Baumwollflächen Genpflanzen angebaut. Die Umstellung auf Bioanbau ist aufwendig, und die Nachfrage von Verbrauchern und Industrie nach Biobaumwolle steigt zwar, ist aber im Vergleich zu konventioneller Ware noch immer winzig.
Der Text ist ein Auszug aus dem Buch von taz-Redakteurin Heike Holdinghausen: „Dreimal anziehen, weg damit. Was ist der wirkliche Preis für T-Shirts, Jeans und Co?“, das am 31. August im Westend Verlag erscheint.
In der Bekleidungsindustrie ist Baumwolle noch immer sehr beliebt, allen negativen Berichten über die Umweltauswirkungen zum Trotz. Stoffe aus Baumwolle sind weich und leicht und ihre Fasern, anders als die europäischen Faserpflanzen Flachs und Hanf, für eine maschinelle Herstellung bestens geeignet. Diese Eigenschaften und ihre konkurrenzlos billige Erzeugung mittels Sklavenarbeit machten sie zum ersten Rohstoff des entstehenden Kapitalismus. Ab dem 17. Jahrhundert wurde der Handel mit Baumwolle und Baumwollwaren zu einer der wichtigsten Handelssparten weltweit.
Obwohl sie in Europa nie heimisch gewesen war, rissen die Europäer den Handel an sich und zerstörten die traditionellen Gewerbe und Handelsrouten des Südens. Auch in Europa wandelten sich das Textilgewerbe und seine stoffliche Basis vollständig. Als Levi Strauss 1829 in Oberfranken geboren wurde, hüllte ihn seine Mutter wahrscheinlich in Hemdchen und Tücher aus Leinen. Die Flachsfaser, aus der Leinen gesponnen wird, war in Mitteleuropa neben Wolle und Hanf der selbstverständliche Rohstoff für Textilien. Als Strauss 1902 starb, hatte die Baumwolle die seit 7.000 Jahren heimische Faser bereits fast vollständig vom Markt verdrängt.
Levi Strauss’ Hose hingegen ist allgegenwärtig. Derzeit steckt sein Unternehmen in der Krise und versucht die Rettung mit einem radikalen Sparprogramm. Auch die deutsche Traditionsmarke Mustang kämpft. Die heutige Allerweltsklamotte auf dem Markt zu positionieren ist schwierig. In New York sitzen kleine Labels und verkaufen handgeschneiderte Luxusjeans aus südjapanischem Denim, während Modediscounter Jeans für 9,99 Euro anbieten, die zu 43 Prozent aus Polyester, Viskose und Elastan bestehen. Klar ist nur: Jeans sind Hosen. Von ihrem Mythos als Kleidung freiheitsliebender Außenseiter ist nicht viel übrig. Heute steht sie für die Uniformität der Käufer im Zeitalter des Massenkonsums – kein Wunder, dass Levi’s so gerne an Marlon Brando erinnert: Er verleiht der Ware des Konzerns wenigstens einen Rest von Ungestüm.
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