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Recht auf Hafen

Seefahrt Das Kollektiv „Geheimagentur“ baut in Hamburg ein alternatives Kreuzfahrtterminal auf. Ein Schiff gibt es nicht – aber jede Menge Visionen, wie man anders kreuzfahren und den Hafen anders nutzen könnte

Auf dem echten Meer ist für Alternativen kaum noch Platz: Kinderbilder von Traumschiffen   Foto: Geheimagentur

von Robert Matthies

Ungebrochen boomt die Kreuzfahrtbranche. Deshalb hat sich jetzt auch das Hamburger KünstlerInnen- und AktivistInnen-Kollektiv „Geheimagentur“ des Themas angenommen. Auf dem Gelände der ehemaligen Oelkers-Werft am Neuhöfer Damm eröffnet sie vorübergehend ein viertes Kreuzfahrtterminal – und ist damit dem Senat einen Schritt voraus.

Kein Marktsegment im internationalen Tourismus wächst schneller als die Kreuzfahrt. Weltweit ist die Zahl der Passagiere in den vergangenen 15 Jahren um über 80 Prozent gestiegen. Hamburg mischt ordentlich mit. 189 Anläufe und fast 589.000 Passagiere gab es im Rekordjahr 2014. 1.500 Arbeitsplätze hängen in der Stadt von der Branche ab, hat die Wirtschaftsbehörde errechnet. Mehr als 270 Millionen Euro werden mit den Pauschalreisen auf See jedes Jahr erwirtschaftet.

Um das Wachstum zu fördern, hat der Senat im vergangenen Jahr die Initiative „Cruise Net“ ins Leben gerufen, eine öffentlich-private Partnerschaft von Kreuzfahrtunternehmen mit Hamburg-Bezug und städtischen Akteuren. Im Juni eröffnete am Kronprinzkai im Kaiser-Wilhelm-Hafen auf Steinwerder das dritte Kreuzfahrtterminal. Ein viertes für große Luxusliner ist längst im Gespräch.

Die Geheimagentur wird schon Ende dieser Woche am Neuhöfer Damm versuchsweise ein viertes Terminal eröffnen. Das KünstlerInnen-Kollektiv setzt sich seit Jahren schon mit dem Reisen auseinander, unter anderem 2009 auf dem Sommerfestival auf Kampnagel mit der „Get-Away-Gala“, auf der es eine „Tourism Art“ forderte und zur Solidarität zwischen TouristInnen und MigrantInnen aufrief. Jetzt hat die offene Gruppe ein Kreuzfahrtunternehmen gegründet – ganz im Ernst.

„Am Beispiel Kreuzfahrt kann man sich gut ansehen, wie im Hamburger Hafen Politik gemacht wird“, sagt eine der Geheimagentinnen, die – eben eine Geheimagentin – anonym bleiben möchte. „Aber der Moment, wo man sich gemeinsam überlegt, wie sich der Hafen entwickeln soll, der fällt weg.“ Dass es auch ein „Recht auf Hafen“ geben kann, darauf sind auch die „Recht auf Stadt“-AktivistInnen noch nicht gekommen.

Dabei sind HamburgerInnen auf vielfältige Weise am Hafen beteiligt: Als Anstalt öffentlichen Rechts ist die Hamburg Port Authority (HPA) Eigentümerin des Großteils der Hafengrundstücke. „Aber mit den Investitionen verbindet sich keine öffentliche Diskussion“, sagt die Geheimagentin. Alle Entscheidungen darüber, was im Hafen passiert, würden von wenigen Leuten getroffen. Was nicht dem Hafenzweck entspreche, habe kaum eine Chance – und den Hafenzweck, den lege eben die HPA fest.

Eine öffentliche Diskussion darüber anstoßen, eine Demokratisierung des Hafens fordern und einen Ort bieten, an dem gemeinsam nachgedacht und diskutiert werden soll, wie man anders mit dem Hafen und der Seefahrt umgehen könnte – das sind denn auch die Hauptanliegen der künstlerischen Versuchsanordnung. „Es geht nicht darum, die Tourismusindustrie als große Vorlage zu emulieren“, erklärt einer der Geheimagenten, „sondern darum, unseren Bedürfnissen zu folgen.“

Dazu gehört auch die programmatische Entscheidung, gar kein großes Schiff haben zu wollen, mit dem es über die Ozeane geht, sondern Kreuzfahrten in der näheren Umgebung zu unternehmen – unter anderem auf selbst gebauten Schwimmkörpern. „Wilhelmsburger Wellness“ heißt eine der drei Touren, die man im Rahmen des Sommerfestivals auf Kampnagel buchen kann: Ein Sichtreibenlassen auf dem Reiherstieg nebst Suche und Bestimmung von Heilpflanzen im Hafen. Die „Wildlife-Kreuzfahrt“ macht sich am Tag davor mit einem aufblasbaren Eisberg auf die Suche nach Kreuzfahrtschiffen. Und die letzte Tour ist ein „Landgang“: eine Radtour zum Terminal.

Wie man mit wenigen Mitteln alternativ kreuzfahren kann, das soll außerdem ein Workshop zeigen, in dem in der großen leer stehenden Halle der ehemaligen Werft ein großes Floß entstehen soll. Vorbild ist Poppa Neutrino: Mit einem riesigen, aus Sperrmüll gebauten Floß ist der Lebenskünstler 1997/98 von New York bis nach Irland geschippert.

Das Floß sei „ein interessantes Gefährt, Mittel des Überlebens und selbst geschaffenes Mittel der Befreiung“, sagt einer der Geheimagenten. Damit sollen die im Verlauf der künstlerischen Werft-Zwischennutzung gesammelten Wünsche und Forderungen zum Abschluss der Politik übergeben werden – entlang der Hamburger Machtachse: vom Hafen, vorbei an Börse und Handelskammer bis zum Rathaus.

Formuliert werden sollen die Wünsche und Visionen von einer anderen Seefahrt und Hafennutzung unter anderem bei einem Captain‘s Dinner mit wasch­echten Seeleuten. Und auf einer alternativen Kreuzfahrtkonferenz, die erstmals künstlerische und kulturelle Projekte zusammenbringt, die auf und mit dem Meer arbeiten. Denn gerade das steht mit dem Wachstum der durchorganisierten und -kalkulierten Kreuzfahrtbranche ja auch auf dem Spiel: Die Seefahrt als Wagnis und Kulturtechnik, die Menschen weltweit miteinander verbindet.

Fr, 14.8. bis Do, 20.8., ehemalige Oelkers-Werft, Nippoldweg

Programm: geheimagentur.de

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