: „Eine Menschheitstragödie“
Ausstellungseröffnung Die Villa Ichon zeigt „Der Blick in den Abgrund“ von Marietta Armena
55, hat Klassische Malerei an der Kunstakademie in Jerewan studiert und lebt als freie Künstlerin in Bremen.
taz: Frau Armena, in Ihrer Ausstellung spielt der Völkermord an den Armeniern eine zentrale Rolle. Haben Sie eine persönliche Verbindung zu diesem Thema?Marietta Armena: Ich komme aus Armenien. Meine Großeltern stammten aus Van in der heutigen Türkei und flohen vor dem Massaker. Bei uns wurde nie über die Ereignisse geredet. Das schmerzt mich alles sehr. Ich weiß zum Beispiel über viele meiner Vorfahren kaum etwas. Es ist, als ob die Wurzeln vom Stamm weggeschnitten wurden. Als Nachkomme von Opfern fühle ich mich verpflichtet, darüber zu berichten.Inwiefern ist das Thema immer noch aktuell?Es ist aktuell, weil es nicht nur eine armenischen Tragödie ist, sondern eine Menschheitstragödie. Mit 1915 ist es ja nicht erledigt. Es gab den Holocaust oder das Massaker in Ruanda. Und im 21. Jahrhundert gibt es immer noch schlimme Dinge vonseiten der Türkei: Die Behandlung der Kurden etwa. Letztes Jahr bombardierte die Türkei die syrische Stadt Kesap, wo vor allem Armenier lebten. Man darf nicht sagen, dies oder jenes sei verjährt. So etwas kann jederzeit wieder passieren. Was für einen Umgang wünschen Sie sich mit der Geschichte der Armenier?Wir müssen das Problem nicht als armenisch-türkische, sondern als internationale Sache ansehen. Wenn wir warten, bis die Türkei den Völkermord zugibt, müssen wir uns noch weitere hundert Jahre gedulden. Die Industrieländer müssen selbst etwas machen.
Was denn?
Ich wünsche mir eine klare Stellungnahme. Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass Deutschland mit der Türkei zusammenarbeitet, aber das Verbrechen sollte benannt werden. Stellen Sie sich nur vor, man würde auf diese Weise den Holocaust verleugnen.Wie stellen sie das Thema in der Ausstellung vor?Es geht generell um Krieg und Frieden. Die Kunstwerke sind nicht realistisch, sondern symbolisch. Einen Raum im Erdgeschoss habe ich als Gedenkkapelle umfunktioniert. Im Rahmenprogramm haben wir verschiedene Vorträge, die sich mit dem armenischen und ruandischen Völkermord auseinandersetzen.
Interview: Thomas Kreutz
19.30 Uhr, Villa Ichon
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen