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Rios mörderische Militärpolizei

Brasilien 16 Prozent aller Morde in der Olympiastadt von 2016 werden von Polizisten begangen. Die Bewohner haben vor Kriminellen genauso Angst wie vor Polizeigewalt

Sorgt nicht unbedingt für ein Sicherheitsgefühl: Polizei beim Einsatz in einer Favela Foto: Ricardo Moraes/reuters

Aus Rio de Janeiro Andreas Behn

Ein Jahr vor Beginn der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro warnt Amnesty International vor der Sicherheitspolitik in Brasilien. Im Visier der Menschenrechtler sind just diejenigen, die mit massiver Präsenz auf den Straßen jede Art von Störung vermeiden und sportbegeisterte Besucher schützen sollen: die Militärpolizisten. In der Olympiastadt mit ihren sieben Millionen Einwohnern soll die Polizei in den vergangenen fünf Jahren über 1.500 Menschen umgebracht haben, schreibt Amnesty Anfang dieser Woche in einem Bericht. Fast jeder sechste Mord in Rio de Janeiro geht damit auf das Konto von Uniformierten.

Dem Bericht zufolge, der unter dem Titel „Du hast meinen Sohn getötet“ erschienen ist, finden die meisten dieser Gewalttaten in Armenvierteln statt, den sogenannten Favelas. Meist sind die Opfer schwarze Männer unter 30 Jahren.

Brasiliens Schwarzenbewegung vertritt die These, dass die Polizeigewalt einem Genozid an der schwarzen Bevölkerung gleichkomme. Brasiliens Amnesty-Sprecher stimmt indirekt zu: „Durch die repressiven Polizeieinsätze wird ein bedeutender Teil einer Generation von jungen schwarzen und armen Männern dezimiert“, sagt Atila Roqueso Roque.

Zudem beklagt der Menschenrechtler die Scheinheiligkeit der Olympia-Organisatoren: „Einerseits Glanz und Glamour, um die Welt zu beeindrucken. Andererseits brutale und tödliche Polizeieinsätze, die mit dem angeblichen Krieg gegen Drogen legitimiert werden. Nur in seltenen Fällen, wenn die Übergriffe zufällig mal gefilmt wurden, kommt es zu Ermittlungen.

Von den 220 Ermittlungen gegen Polizisten im Jahr 2011 führte nur ein Fall zu einer Anklage. Der größte Teil der Gewalttaten und Morde seitens der Polizisten bleibt ungesühnt. Fast immer geben die Polizisten an, aus Notwehr geschossen zu haben, und verhindern damit jedes Verfahren.

Laut Amnesty ist sogar davon auszugehen, dass ein großer Teil der Tötungsdelikte regelrechte Hinrichtungen waren, bei denen die Beamten unliebsame Personen oder auch wahllos Bewohner von Favelas erschießt.

Nach Rekordzahlen zur Jahrhundertwende war die Zahl der Tötungen im Vorfeld der Fußball-WM 2014 zurückgegangen – jetzt steigt sie wieder.

„Bedeutender Teil einer Generation dezimiert“

Atila R. Roque, aMNESTY INTERNATIONAL

Der Versuch, das vielschichtige Gewaltklima in den Armenvierteln durch eine Art Bürgerpolizei zu befrieden, schien Anfangs erfolgreich zu sein. Die ständige Präsenz der UPPs (Uni­dade da Polícia Pacificadora) in den Favelas rund um die wohlhabenderen Viertel Rio de Ja­neiros machte den Drogengangs und den paramilitärischen Milizen das Leben schwer.

Aber auch wenn viele Bewohner es genossen, dass die ständigen Schießereien ein Ende hatten, beklagten Kritiker den Mangel an sozialer Infrastruktur. Statt Gesundheitsposten, mehr Schulen und einer Beteiligung der Bewohner schickte der Staat nur schwer bewaffnete Polizisten in die Favelas. Schon nach wenigen Jahren häuften sich die Vorwürfe wegen Gewalttaten, mittlerweile stehen auch viele UPP-Beamte im Ruf, Anwohner zu foltern, verschwinden zu lassen oder zu ermorden.

An die 90.000 Polizisten werden zu Olympia in Rio de Janeiro im Einsatz sein. Gerne lassen sie die Gewehrläufe aus den Fenstern der Patrouillenfahrzeuge lugen, was weder bei Touristen noch Einheimischen ein Sicherheitsgefühl auslöst. Laut einer Umfrage des Instituts Datafolha haben rund 60 Prozent der Bewohner von Rio, Angst vor übergriffen der Polizei. Überhaupt herrscht in der Stadt ein Klima der Angst, fast alle Befragten gaben an, sich vor Gewalt zu fürchten. Und die Polizei sorgt nicht für Sicherheit, sondern geht ihren eigenen Geschäften nach.

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