Bernd Pickert über den jüngsten Journalistenmord in Mexiko
: Absoluter Machtanspruch

Es ist nicht vollkommen ausgeschlossen, dass die mexikanischen Ermittlungsbehörden mit ihrer Vermutung recht haben, der Pressefotograf Rubén Espinosa sei einfach nur „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen, als er zusammen mit vier Frauen in einer Wohnung in Mexikos Hauptstadt von bisher Unbekannten gefoltert und ermordet wurde. Nur: Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Plausibler ist vielmehr, dass es andersherum war: dass also die vier getöteten Frauen „zur falschen Zeit am falschen Ort“ waren, als die Mörder kamen, um den Fotografen zu töten.

Der Bundesstaat Veracruz, wo Espinosa soziale Bewegungen und Polizeiübergriffe dokumentierte, steht an der Spitze der Journalistenmorde in Mexiko. Der Gouverneur des Bundesstaats hetzte mehr oder weniger offen mit, wenn es gegen Journalisten ging – und tat keinen Handschlag dafür, auch nur einen der zwölf Morde an Journalisten in drei Jahren seiner Amtszeit aufzuklären. Und trotz aller Rhetorik gegen Korruption und organisiertes Verbrechen, die Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto immer mal wieder gern an den Tag legt: Auch Mexikos Bundesregierung lässt kritische Journalisten auf eine Weise im Stich, dass sie de facto vogelfrei sind. Dass es überhaupt noch welche gibt, die sich um Recherchen auch zu heiklen Themen bemühen, grenzt an ein Wunder.

Zumal ihre Arbeit im Grunde für die Katz ist. Wo Korruption, Vetternwirtschaft und enge Verbindungen zwischen staatlichen Institutionen aller Ebenen mit dem organisierten Verbrechen ein solches Ausmaß angenommen haben wie in Mexiko, da ist auch die „vierte Gewalt“ machtlos.

Das System ist ja nicht deshalb so, weil die Mexikaner es nicht verstehen würden oder nichts darüber wüssten. Kritische Journalisten zu ermorden, ist insofern gar nicht mehr notwendig. Aber es ist ein Signal für alle: Niemand ist sicher. Der Machtanspruch ist absolut, jede Gegenwehr sinnlos, die Gewaltenteilung abgeschafft.

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