: „Man kannte Terrorpläne“
Diskussion Linke Szene sollte ihren Umgang mit NSU-Skandal aufarbeiten, sagt FSK-Moderatorin
taz: Frau Keller, hat die linke Szene es versäumt, sich ausreichend mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zu beschäftigen?
Caro Keller: Ja. Ich hätte erwartet, dass das Interesse nicht so schnell verfliegt. Wenn man davon ausgeht, dass sich eine radikale antifaschistische Linke Neonazis entgegenstellen will, dann ist das beim Thema NSU falsch gelaufen. Man hat die Betroffenen nicht gehört. Die Versäumnisse liegen nicht nach 2011, sondern schon vorher, als der NSU noch im Untergrund war.
Was wurde denn damals versäumt?
Man kannte die Terrorpläne von Neonazis in den 1990er-Jahren, aber die eigene Analyse wurde nicht ernst genommen. Wenn es irgendwo einen Anschlag, Übergriff oder Mord gibt, bei dem die Möglichkeit besteht, dass es sich um einen rassistischen oder antisemitischen Hintergrund handeln könnte, sollte immer genau hingesehen werden. Aufklärung muss die radikale linke Szene solange einfordern, bis sie auch wirklich geleistet wird.
Welche Probleme gibt es bei der Aufarbeitung?
Momentan fehlt die Ruhe für eine umfassende Aufarbeitung des NSU-Komplexes, weil man sich mit den aktuellen Anschlägen auf Unterkünfte für Geflüchtete und einer stärker werdenden Neonazi-Szene beschäftigen muss. Aus dem NSU-Skandal kann man aber viele Lehren für die Betrachtung der heutigen Vorfälle ziehen. Deshalb muss man beide Themenkomplexe zusammen behandeln. Es geht schließlich nicht nur darum, den Komplex aufzuarbeiten, sondern zu diskutieren, wie man zukünftig reagieren kann.
Und wie sollte in Zukunft vorgegangen und reagiert werden?
Man muss die Neonazis und den gesamtgesellschaftlichen Rassismus im Blick haben. Man muss die Neonazis ernst nehmen und ihnen entschieden entgegentreten. Man muss Aufklärung leisten und mit den Betroffenen von rassistischer und antisemitischer Gewalt sprechen und mit ihnen zusammenarbeiten. Es darf nicht noch einmal passieren, dass die Opfer von rechtsextremen Morden sprechen und niemand ihnen zuhört.
Interview: Larissa Robitzsch
Diskussionsveranstaltung der Gruppe für den organisierten Widerspruch und der Gruppe gegen Kapital und Nation Hamburg „Antinationaler Klönschnack – Die Linke und der NSU“: 20 Uhr, Kollektives Zentrum, Norderstraße 65
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen