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Die WahrheitPilger in Stöckelschuhen

Kolumne
von Ralf Sotscheck

Der heilige Berg Irlands ist gar nicht so heilig. Der Croagh Patrick ist eher heruntergekommen und in keinem büßerfreundlichen Zustand.

E ine Massen-Sündenvergebung sollte doch ein paar Millionen Euro wert sein. Aber mit dem Katholizismus der Iren scheint es nicht mehr allzu weit her zu sein. Am letzten Sonntag im Juli klettern normalerweise Zehntausende auf den Croagh Patrick, Irlands heiligen Berg, um sich in der Kapelle auf dem Gipfel ihre Absolution zu holen. Vor acht Tagen waren es gerade mal 5.000, die sich von den Warnungen der Bergwacht nicht beeindrucken ließen. Die hatte den Aufstieg in letzter Minute wegen der grauenhaften Wetterbedingungen abgesagt: Die Erosion habe dem Pfad im Laufe der Zeit so zugesetzt, dass er bei sintflutartigem Regen gefährlich sei. Um ihn wieder in einen büßerfreundlichen Zustand zu versetzen, müssten mindestens 1,5 Millionen Euro her.

Das könnte den Pilgern so passen. Die Absolution ist schließlich kein Kinderspiel, ein gewisses Risiko müssen die Pilger schon eingehen. Sonst könnte man ja gleich einen Sessellift bauen. Manch Büßer weiß das und klettert den Berg barfuß oder auf allen Vieren hinauf. Andererseits sieht man auch Frauen in Stöckelschuhen, aber das ist wohl eine selbst auferlegte Verschärfung der Buße.

Die Vergebung der Sünden hat man sich verdient, wenn man oben angekommen ist. Zwar ist der Berg nur 753 Meter hoch, aber der Weg hat es in sich. Ich weiß das, denn ich war dreimal oben – allerdings nicht aus religiösen, sondern aus beruflichen Gründen. Einmal haben der Kollege Aribert Weis und ich einen Dokumentarfilm gedreht. Zu dem Zweck hatten wir eine Familie mit Kindern gesucht, die nicht sonderlich fit aussahen, damit wir mit der schweren Filmausrüstung hinterherkamen.

Wir wurden schließlich fündig. Die Eltern waren zwar recht jung, aber die beiden Kinder schienen klein und langsam. Leider entpuppten sie sich als Gemsen. Ich versuchte vergeblich, sie zu Pausen zu animieren, um dem Kameramann eine Chance zum Aufholen zu geben. Offenbar hatte die Familie es mit der Sündenvergebung eilig. Als ich schließlich mit hängender Zunge am Gipfel ankam, traten unsere Protagonisten gerade den Rückweg an.

Der Berg ist den Iren deshalb heilig, weil ihr Schutzpatron, der heilige Patrick, im Jahr 441 auf dem Gipfel vierzig Tage gefastet und Pläne für die Christianisierung Irlands geschmiedet haben soll. Sein „Bett“, ein Steinkranz, steht vor der Kapelle. So war der Aufschrei groß, als vor vielen Jahren Gold im Berg gefunden wurde und eine ausländische Firma die Schürfrechte beantragte. Sie wollte den halben Croagh Patrick abtragen. Das wurde natürlich abgelehnt.

Da die Iren es mit dem Katholizismus heutzutage nicht mehr so streng sehen, könnte man der Firma doch mitteilen, dass man es sich überlegt habe. Für eine Million Euro dürfte sie den halben Berg abtragen. Mit dem Geld könnte man den Pfad, der dann nur noch halb so lang wäre, restaurieren und mit einer Gipfelpinte ausstatten. Die Pilger kämen schneller zur Sündenvergebung und könnten vor dem Abstieg noch einen zwitschern – eine „Win-Win-Situation“.

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