: Die Craftbeer-Revolution
Gott erhalt's Auch Biertrinker haben neuerdings die Chance zum gehobenen Genuss. Handwerklich arbeitende Brauereien schaffen neue Bierstile. Das geht auch mit dem Reinheitsgebot
Im englischen Sprachraum gibt es einen Begriff, der prägnant das beschreibt, wofür wir die Umschreibung „handwerklich hergestellt“ benutzen. Das jedoch ist viel zu kompliziert, weshalb es kaum jemand sagt. So setzt sich der Begriff „Craftbeer“ auch hier für handwerklich hergestelltes Bier durch. Was aber ist Craftbeer und weshalb ist Craftbeer buchstäblich in aller Munde?
Seit Jahren bewegt sich der Biermarkt in zwei Richtungen. Die eine ist die, dass große Brauereien zu riesigen Konzernen fusionieren. Die andere Richtung gleicht der Graswurzelbewegung, in der Menschen aus dem Nichts kleine Brauereien, sogenannte Microbreweries, schaffen – allein in Hamburg und Umgebung gibt es mehrere davon.
Diese Bewegung ist die Antwort darauf, dass die Biere der großen Brauereien immer uniformer geworden sind. Die „Fernsehbiere“, wie man sie wegen der Fernsehwerbung auch nennt, nutzen praktisch alle die gleichen zwei oder drei Hopfensorten, die gleichen Malzarten, und ein Bier wie Becks wird längst an unterschiedlichen Standorten gebraut.
Dass dort das Wasser jeweils ein ganz anderes ist – und Wasser prägt das Bier auf eine markante Art und Weise –, interessiert dabei längst nicht mehr. Bier aber kann so vielfältig sein wie Wein und verfügt über mindestens ebenso viele Aromen. Wer in Brauereihandbücher schaut, findet mindestens 100 verschiedene Bierstile und Dutzende gänzlich unterschiedlicher Hopfensorten.
Die Gegenbewegung zum Industriebier ging von den USA aus. Die USA waren vor der Prohibition ein Land mit mehr als tausend kleinen Brauereien, in denen sich die Bierstile der Einwanderer spiegelten. Mit der Prohibition kam all dies zum Erliegen und später entstanden nur noch einige wenige Brauereien neu.
1975 brachte die US-Brauerei Anchor Steam mit dem eigentlich seit Jahrhunderten gebrauten India Pale Ale das erste Ale moderner Art heraus – den Urahn des Craftbeers. Anchor Steam hatte nicht nur einen Aromahopfen namens Cascade mit in die Maische gegeben, sondern zusätzlich auch in die Lagerfässer. Dieser Kalthopfen gab dem Bier eine zusätzliche Bitternote und viel exotisches Aroma.
Seitdem ist viel geschehen und die Craftbeermacher haben sich über die westliche Welt verteilt. In Deutschland ist die Bewegung erst vor einigen Jahren spürbar geworden – nicht zuletzt deshalb, weil es zumindest in Bayern und Franken noch deutlich mehr kleine Brauereien gibt, die gutes Bier brauen. Doch gerade in Bayern treiben mittelständische Brauereien wie Schneider Weisse oder Schönram die Bierrevolution voran. Wer hätte früher einen amerikanischen Braumeister in einer bayerischen Traditionsbrauerei vermutet?
Dem Einfallsreichtum deutscher Brauer steht dabei eigentlich nur noch eines im Weg: das Reinheitsgebot. Das ursprüngliche Gebot, das nächstes Jahr den 500. Geburtstag feiert, besagt, dass Bier lediglich aus Gerste, Hopfen und Wasser bestehen dürfe. Entsprechend ist es Craftbeer-Brauern heute nicht erlaubt, Koriander, Orangenschalen oder Ingwer zu vergären.
Große Brauereien jedoch dürfen Asbest zur Filtrierung, Blausäure als Vorratsschutzmittel und den Kunststoff Polyvinylpolypyrrolidon zur Filtrierung sowie weitere chemische Stoffe zur Stabilisierung der Schaumkrone einsetzen. Im Biergesetz heißt es dazu lapidar, dass man Stoffe verwenden darf, die „bis auf gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche, technisch unvermeidbare Anteile wieder ausgeschieden werden“.
Ob mit oder ohne Reinheitsgebot – jeder Teil des Brauverfahrens verändert den Stil. Malze können geröstet und karamellisiert werden, Biere werden in Sherryfässern ausgebaut oder milchsauer vergoren. Heute findet man in gut sortierten Craftbeer-Läden die exotisch fruchtigen und gleichzeitig ziemlich bitter-erfrischenden India Pale Ales, die der deutlichste Ausdruck der neuen Bierbewegung sind. Gleichzeitig werden der altdeutsche Bierstil Gose und die echte Berliner Weiße wiederbelebt und Hamburger Brauer füllen belgische Saisonbiere mit amerikanischem Hopfen ab. Christoph Raffelt
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