: Hilfe zur Selbsthilfe
STUDIUM Die Initiative „Arbeiterkind“ will Kinder aus Nichtakademiker-Haushalten zum Studieren ermutigen. Vor allem Stipendien sind allerdings noch immer fest in der Hand des Bildungsbürgertums
von Jan-Paul Koopmann
Kinder von Arbeitern gehen nicht an die Uni. Das ist ein Klischee von vorgestern, ja – aber eines, das sich selbst wahr macht. Denn während es früher einmal tatsächlich vor allem am Geld lag, dass nur die Oberschicht ihren Kindern eine universitäre Ausbildung finanzieren konnte, gibt es dafür heute diverse Hilfen von Bafög über Stipendien bis zu Bildungskrediten. Das Problem ist aber: Das Wissen um diese Mittel ist in Nicht-Akademiker Haushalten deutlich weniger präsent als bei Eltern, die selbst an der Uni waren.
Und dann ist da auch eine psychologische Barriere, denn dass Kinder von Arbeitern nicht an die Uni „gehören“ – das sehen auch nicht wenige Arbeiter so. Derzeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass Akademikerkinder ein Studium aufnehmen 3,3 mal höher als in Arbeiterfamilien. Von „Aufstiegsangst“ spricht die Psychologie.
Die Initiative „Arbeiterkind“ versucht das zu ändern. Mit niedrigschwelligen Informationsangeboten wollen sie das Wissensdefizit ausgleichen. Im persönlichen MentorInnen-Programm stehen sie Studierenden auch moralisch zur Seite.
In der Bremer Ortsgruppe arbeitet David-Leon Rosengart als „Mentor“. Seine Mutter war alleinerziehend und arbeitet als Sekretärin. Rosengart hat sich ins Studium noch ohne fremde Hilfe durchgeboxt. „Ich glaube, ich habs ganz gut hinbekommen“, sagt er heute. Das wollte er auch anderen ermöglichen.
So wie Rosengart stammen viele der rund 30 Bremer MentorInnen aus ihrer eigenen Zielgruppe. Sie haben seit Anfang des Jahres bereits acht Bremer Schulen besucht, sind regelmäßig auf Berufsmessen vertreten und arb eiten zunehmend auch mit den lokalen Hochschulen zusammen. Für den Erstkontakt gibt es ein Infotelefon, wo SchülerInnen und auch Eltern sich insbesondere bei Fragen zur Finanzierung Rat holen können.
Dass diese persönlichen Gespräche langfristig mehr bringen als etwa Info-.Flyer von Hochschulen, hat die Initiative gerade von der Forschung bestätigt bekommen. Der Arbeitsbereich Empirische Bildungsforschung der Freien Universität Berlin und das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung haben das Arbeiterkind-Programm evaluiert und ihm erste Erfolge bescheinigt.
Sie empfehlen allerdings, die Übergänge vom Erstgespräch in die folgenden Projekte noch fließender zu gestalten, damit die Angesprochenen nicht unterwegs wieder verloren gehen. Zumindest in Bremen gibt es entsprechende Ansätze bereits, sagt Rosengart. Ohnehin stünden die Mentoren in engem Kontakt zu ihren Betreuten. Si e würden da bei Bedarf auch schon mal beim Formatieren einer Hausarbeit helfen – und beim Ausfüllen von Formularen: „Bafög-Anträge können schon abschrecken“, sagt Rosengart.
Neben solchen praktischen Hilfen beim Papierkrieg sind die Arbeiterkind-MentorInnen auch dazu da, erstmal Mut zu machen. „Empowerment“ nennt man das in den USA, wo die gesellschaftlichen AufsteigerInnen übrigens statt „Nicht-Akademiker“ deutlich optimistischer als „First Generation College Students“ bezeichnet werden.
Zugang zu Bildung und Abschlüssen ist eine Grundvoraussetzung für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – das wohl wichtigste Mittel gegen die soziale Spaltung. Dennoch: „Wir verstehen uns klar apolitisch“, sagt Rosengart. Es gehe der Gruppe allein „um praktische Hilfe, auf Augenhöhe“. Statt also das Stipendiensystem zu kritisieren, wollen sie Menschen dabei helfen, an das Geld heranzukommen.
Und Stipendien liegen hierzulande noch fester in den Händen von Akademikerkindern als die Studienplätze. Noch vor wenigen Jahren lag hier der Akademikeranteil bei 90 Prozent.
Das ändert sich recht langsam. Die „Studienstiftung des Deutschen Volkes“ hat sich die Beachtung unterschiedlicher „Lebens- und Bildungsbiographien“ immerhin ins Leitbild geschrieben. Es sind öffentliche Gelder, die hier verteilt werden. Über 90 Millionen Euro hat die Studienstiftung im vergangenen Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bezogen.
In der Praxis aber gilt noch immer das „Matthäus-Prinzip“, dass also vor allem denen gegeben wird, die schon haben. Für viele Stipendien muss man vorgeschlagen werden: In der Schule oder von Lehrenden der Uni. Und selbst wenn es dort keine Vorbehalte gegen Arbeiterkinder gäbe, sind die Kinder von im Bildungsbürgertum vernetzten Eltern doch klar im Vorteil.
Manche fordern darum, Stipendien ganz abzuschaffen und stattdessen das Bafög auszubauen. Als im Jahr 2013 das sogenannte „Büchergeld“ auf 300 Euro erhört wurde, gab es erbitterten Protest sogar von vielen, die das Geld doch bekommen sollten. Denn, so die Kritik, dieser Teil der Stipendien sieht ganz ausdrücklich von den Einkommensverhältnissen der Eltern ab und landet so als „versteckte Elitenförderung“ direkt bei der im Förder-System überrepräsentierten Oberschicht.
Gegenwärtig haben Stipendien handfeste Vorteile gegenüber dem Bafög: Man muss sie nicht zurückzahlen, sie stehen Wohngeld-Anträgen nicht im Weg – und sie sind in der Regel auch weniger sperrig, was die Lebensverhältnisse der Eltern angeht. Gerade in der Mittelschicht kommt es beim Bafög doch oft vor, dass jemand ein paar Euro zuviel verdient, wenn er die Anträge nicht geschickt stellt.
Die Arbeiterkind-Ini will das System nicht umkrempeln, sondern Menschen die Teilhabe ermöglichen. Und so viel ist sicher: Wenn Studierende der ersten Generation eines Tages gleichberechtigt neben Akademikerkindern an der Uni vertreten sein sollten, dann nur, weil sie sich diese n Schritt auch zugetraut haben.
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