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Rote Kanäle und ramponierte Gitarren

REVIVAL Einladung zum Mitsingen: Die Ausstellung „Folk City“ im Museum of the City of New York zeigt die Wiederaneignung ländlichen Folks durch die Stadtbohemiens der 60er und beschwört den Geist der damaligen Gegenkultur in den Staaten herauf

Those were the days: Im Washington Square Park traf man sich in den späten 50ern und 60ern, um gegen Rassentrennung und Krieg zu singen Foto: Abbott/Museum of The City of New York

aus New York Ulrich Rüdenauer

Tom Chapin lacht so breit und ansteckend, dass das hell erleuchtete Foyer im Museum of the City of New York gleich noch ein bisschen lichter strahlt. Josh White Jr. erzählt davon, wie er im Alter von vier – 70 Jahre ist das her – zum ersten Mal auf der Bühne stand, und Happy Traum erinnert sich an seine Begegnung mit Brownie McGhee, der ihm in den Fünfzigern ein paar Kniffs auf der Gitarre beibrachte. Der 84-jährige David Amram spielt dagegen auf exotischen Flöten und dichtet ad hoc ein paar Strophen zu einem Song. Bethany Yarrow, Tochter von Peter Yarrow, der zusammen mit Paul und Mary Anfang der sechziger Jahre als Trio Peter, Paul & Mary ein großer Star der Folkszene war, bietet ein chilenisches Volkslied dar und ermahnt die anwesende Gemeinde, dass es doch mal wieder an der Zeit sei für eine neue Revolution.

An der Fifth Avenue

Wir befinden uns wohlgemerkt an der Nobelmeile Fifth Avenue, wo solche Ideen eher weltfremd klingen dürften. Bei „If I Had a Hammer“ und „Goodnight, Irene“ singt das in Ehren ergraute Publikum lautstark mit. Wie früher. Wie einst in den Sechzigern. Damals, als das Folk Revival einen ungeahnten Höhepunkt an Popularität erreicht hatte.

„Folk City“ heißt eine Ausstellung, die zurzeit im Museum of the City of New York zu sehen ist. Vor wenigen Tagen trafen sich die Veteranen Chapin, White Jr., Traum und Amram zu einem Hootenanny im Foyer des Hauses, und es hatte durchaus etwas Rührendes, wie dabei der Geist von Woody (Guthrie), Josh (White), Pete (Seeger) und Lead Belly beschworen wurde.

Diese Heiligen des Folk sind zugleich die Säulen der Ausstellung, die konzentriert die Geschichte des Folk Revivals von Mitte der 1930er bis Mitte der 1960er Jahre illustriert – richtig ausgedeutet hingegen wird sie in dem schön gestalteten Begleitbuch von Ronald D. Cohen und Stephen Petrus, der die Schau zugleich kuratiert hat.

„Gerdes Folk City“ war einer jener kleinen Clubs im Greenwich Village, die damals eine magische Aura entfalteten und Musiker aus allen Teilen des Landes anzogen. Ein Schild erinnert an den längst untergegangenen Ort, wie überhaupt die Ausstellung nicht nur eine historische, sondern auch eine nostalgische Dimension hat.

Sie erzählt von einer Aufbruchstimmung, die ihren Ursprung im kommunistischen Agitprop zu Zeiten der Großen Depression hatte und mit der Bürgerrechtsbewegung der fünfziger und sechziger Jahre große Attraktivität für nonkonformistische Jugendliche gewann. Auf wenigen Blocks spielte sich das Geschehen ab; Auftrittsorte wie das „Bitter End“ oder das „Gaslight Café“, Labels wie Folkways Records oder Vanguard und das publizistische Sprachrohr „Sing Out“ konzentrierten sich um die Blee­cker und MacDougal Street. Im Washington Square Park wurde zur Gitarre gegen Rassentrennung und Krieg gesungen; an Sonntagnachmittagen beschworen hier junge Musiker wie Dave van Ronk oder Happy Traum den Geist der Gegenkultur.

Ausstellung und Buch setzen allerdings früher an, beschreiben das identitätsstiftende Sammeln überlieferter Songs aus dem Süden. Der Musikethnologe Alan Lomax suchte nach dieser urwüchsigen Musik von Farmern und an Straßenecken kauernden Bluessängern und verbreitete sie via Radio oder Schallplatte. Die Aneignung ländlicher Musiktraditionen durch New Yorker Bohemiens vollzog sich ziemlich rasch; ein bisschen länger dauerte die Verwandlung von subkulturellen Artikulationsformen in charttaugliche Hits.

Deutlich gezeigt werden in der Ausstellung zudem die politischen Kämpfe, die ausgefochten werden mussten: 1950 erschien „Red Channels: The Report of Communist Influence on Radio and Television“, ein Traktat des rechtslastigen Magazins Counterattack, das etliche Künstlerkarrieren zerstörte. Auch Folkies gerieten ins Visier, unter anderem Pete Seeger, der mit seiner Band The Weavers sehr populär war und nicht davor zurückschreckte, in seinem Programm Arbeitersongs und Lieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg vorzutragen. Ein Zeuge berichtete vor dem House Un-American Activities Committee, dass drei der Weavers in der kommunistischen Partei aktiv seien. Auftrittsverbote waren die Folge. Seeger selbst wurde Jahre später vor diesen Ausschuss für unamerikanische Umtriebe zitiert und wegen seiner Weigerung zur Mitarbeit – sprich: Denunziation – schuldig gesprochen.

Die Ausstellung spiegelt die Geschichte des New Yorker Folk Revivals anhand von Bildern und Zeitungsausschnitten; es sind Memorabilia wie die ramponierten Gitarren von Lead Belly, Odetta oder Judy Collins zu sehen; die Ankündigung für Bob Dylans Konzertdebüt; Hörstationen und Filmaufnahmen lassen erahnen, wie einer der Musiker vom anderen lernte, wie Songs weitergeschrieben und weitergetragen wurden und wie bei vielen der jungen Musiker am Anfang Woody Guthrie als eine Art Übervater stand.

Dylan in der Vitrine

In einer Vitrine – fast ein heiliger Schrein – sind vier handgeschriebene Seiten von Dylan zu bewundern: Originalniederschriften seiner Songs „Blowin’ in the Wind“, „Masters of War“, „Maggie‘s Farm“ und „Mr. Tambourine Man“. Dylan ist nicht nur der eindrücklichste und originellste Künstler, den das Folk Revival hervorgebracht hat. Er ist zugleich ein Übergangsphänomen: Spätestens mit seinem elektrisch verstärkten Auftritt beim Newport Folk Festival 1965 – ein Affront in den Augen der Puristen – transformierte er das Erbe Guthries oder Pete Seegers in etwas Neues, ließ die Folk Community hinter sich, wenngleich er seine frühen Lehrer und Wegbegleiter nie vergessen hat, wie man in seiner Autobiografie „Chronicles“ nachlesen kann.

Beim musealen „Sing Along“-Abend mit David Amram, Josh White Jr., Tom Chapin und Hap­py Traum fiel der Name Dylan bezeichnenderweise nicht. Man schwelgte in Erinnerungen, die weiter zurückreichen. Und die durch die sehenswerte Ausstellung und das lesenswerte Buch „Folk City“ weitererzählt werden.

„Folk City“, Museum of the City of New York, bis 29. November

Stephen Petrus /Ronald D. Cohen: „Folk City. New York and the American Folk Music Revival“, Oxford University Press. 320 Seiten, 39,95 Dollar

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