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Staatsanwalt ermittelt: Mordverdacht

USA Zweifel an der Selbstmordversion der Behörden, nachdem die 28-jährige Afroamerikanerin Sandra Bland in der Gefängniszelle starb. Polizei veröffentlicht Video. Landesweite Proteste halten an

Sandra Blands Mutter bei der Trauerfeier Foto: Pat Sullivan/ap

aus NEW YORK Dorothea Hahn

Sandra Bland ist das neue Gesicht der Protestbewegung gegen Polizeigewalt in den USA, seitdem die 28-jährige Afroamerikanerin tot in ihrer Gefängniszelle in Texas gefunden wurde. Laut Polizei hat die Chicagoerin dort am 13. Juli Selbstmord begangen. Die Angehörigen halten das für ausgeschlossen.

Am Dienstag (Ortszeit) hat die Polizei von Prairie View nun ein internes Video vom Armaturenbrett eines Polizeiwagens freigegeben. Es zeigt, wie der Polizist Brian Encinia die junge Frau drei Tage vor ihrem Tod wegen eines banalen Verkehrsdelikts stoppte, sie anschrie, mit dem Taser bedrohte, fesselte und gewaltsam zu Boden rang.

Einen Tag vor der Veröffentlichung des Videos hatte ein texanischer Staatsanwalt Ermittlungen wegen Mordverdachts eingeleitet. Zuvor hatte es tagelang landesweite Proteste gegeben, im Internet verbreitet unter dem Hashtag #JusticeforSandy.

Von dem Geschehen ist inzwischen so viel bekannt: Polizist Encinia war am Freitag, dem 10. Juli, hinter Bland auf der Landstraße hergefahren, als sie von der Überholspur auf die rechte Fahrbahn wechselte, ohne zu blinken. Er hielt sie an und nahm ihre Papiere mit in seinen Streifenwagen. Als er mehrere Minuten danach zurück zu der in ihrem Wagen wartenden Frau kommt, sagt er zu ihr: „Sie wirken aufgeregt.“ Bland antwortet, dass sie ausgewichen sei, weil er von hinten so schnell an sie herangekommen sei. Und fügt hinzu: „Ich bin in der Tat etwas ungehalten, dass Sie mich deswegen herausgewunken haben.“

Er verlangt, dass sie ihre Zigarette ausmacht. Sie antwortet, dass sie in ihrem Auto rauchen kann, so viel sie will. Er verlangt, dass sie ihr Auto verlässt. Sie fragt, ob sie festgenommen ist. Er sagt ja. Sie fragt, warum. Er reißt die Autotüre auf und schreit hinein: „Komm raus, oder ich zerre dich heraus!“ Dann zückt er etwas, das wie ein Taser aussieht und richtet es ins Wageninnere. Dazu schreit er: „Ich werde dich aufhellen.“ Bland entgegnet mit einem einzigen Wort: „Wow.“ Und verlässt den Wagen.

Die Videoaufzeichnungen vom Armaturenbrett des Polizeiwagens stehen jetzt im Internet (http://tinyurl.com/ongsn87, die Eskalation ab Minute 8.40). Während die junge Frau im Maxirock vor dem Polizisten zum Grünstreifen neben der Straße geht, sagt sie ihm, dass sie sich schon auf das Gerichtsverfahren freut, bei dem sie diese Szene beschreiben kann.

Wenig später legt er ihr Handschellen an und zwingt sie zu Boden. Sie schreit, weil er sie am Handgelenk verletzt und ihren Kopf auf den Boden schlägt. Sie beklagt auch, dass sie ihr Gehör verliere. Ein Passant filmt die Szene aus einiger Entfernung. Polizist Encinia ruft dem Passanten dreimal zu: „Sie müssen hier verschwinden.“ Bland hingegen bedankt sich für das Filmen. Als Aktivistin der Gruppe Black Lives Matter hatte sie in den Monaten vor ihrem Tod selbst dazu aufgerufen, Polizeieinsätze zu dokumentieren.

Kurz bevor Sandra Bland drei Tage später tot in ihrer Zelle gefunden wird, akzeptiert sie, eine Kaution für ihre Freilassung zu zahlen. Ihre Schwester in Chicago will nach Texas reisen, um die Kaution zu überbringen.

Bland soll sich mit einem Plastikmüllsack in ihrer Zelle erhängt haben. Nach ihrem Tod findet die Polizei ein älteres Video, in dem Bland davon spricht, dass sie eine kleine Depression habe. Aber die Schwestern und die Mutter der Toten halten Selbstmord für ausgeschlossen. „Sandy war glücklich“, sagt ihre ältere Schwester, „sie hatte gerade eine Traumstelle an ihrer alten Universität in Texas gefunden.“

Wieso in Sandra Blands Gefängnis­zelle Plastikmüll­säcke lagen, die zum Selbstmord verwendet werden können, bleibt unklar

Wer dem Polizeivideo bis zum Ende folgt, hört, wie Encinia aus dem Polizeiwagen rechtlichen Rat einholt. Im Verlaufe des Gesprächs, von dem nur Encinias Part zu vernehmen ist, lügt der Polizist über sein eigenes Verhalten bei der Festnahme. Er behauptet, Bland habe ihn angegriffen. Er behauptet, er habe keine Gewalt eingesetzt. Und er behauptet, dass er versuchte habe zu deeskalieren.

Encinia ist jetzt im Zwangsurlaub. Wieso in Blands Gefängniszelle Plastikmüllsäcke lagen, die zum Selbstmord verwendet werden können, ist unklar. Unklar bleibt auch, wieso der letzte bekannte Kontakt zu Bland nicht per Augenkontakt, sondern per Interphon geschah. Bei ihrem Tod trug sie die orangefarbene Gefangenenuniform und befand sich in einer Einzelzelle für „Hochrisikogefangene“.

Einen Tag nach Blands Tod kommt in den USA eine weitere junge Frau in einem Gefängnis ums Leben. Am 14. Juli wird die 18-jährige Kindra Chapman kurz nach ihrer Festnahme tot in einer Zelle in Mississippi gefunden. Sie soll sich mit einem Betttuch erhängt haben. Auch ihre Mutter bestreitet, dass es Selbstmord gewesen ist.

Aktivisten von Black Lives Matter haben jetzt einen neuen Hashtag geschaffen. Unter #IfIDieInPoliceCustody (Sollte ich im Polizeigewahrsam sterben) schreiben sie vorsorglich, dass es kein Selbstmord war, falls sie tot in einer Zelle gefunden werden.

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