: „Das Milieu der Klinik ist entscheidend“
Der Raumversteher Durch seine Arbeit als Psychiater an der Charité weiß Bernhard Haslinger, wie stark sich die Raumeinrichtung auf das Seelenwohl der Patienten auswirkt. Auf einem Symposium will er nun mit Philosophen, Historikern und Künstlern über neue Gestaltungsformen diskutieren
Interview Luca Schulte-GünneFoto Wolfgang Borrs
taz: Herr Haslinger, wir sitzen in Ihrem Büro in der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité. Wie fühlen Sie sich hier?
Bernhard Haslinger: Ich fühle mich gut, ich arbeite gerne hier. Das Büro könnte ein bisschen größer sein, aber ich habe einen Blick auf die Bäume des Patientengartens der alten Nervenklinik. Das hilft in schwierigen Situationen bei Gesprächen mit meinen Patienten.
Warum ist es für psychisch kranke Menschen wichtig, dass man Räume, in denen sie sich aufhalten, bewusst gestaltet?
Es ist für alle Menschen wichtig, Räume zu haben, in denen sie sich wohl fühlen, nicht nur für die Kranken. Diese Menschen haben aber in ihren verletzten innerseelischen Räumen so viel zu tun, dass wir ihnen in einem freundlichen Außenraum begegnen sollten. Dieser sollte je nach individueller Situation Schutz, Halt, Ruhe oder Anregungen bieten. Ihre Leiden sind oft nur schwer in Worte zu fassen. Bei unserer Arbeit mit den Patienten spielt deshalb nicht nur das Gespräch eine Rolle. Auch das therapeutische Milieu der Klinik ist entscheidend. Das wird durch die Gestaltung der Räume wesentlich beeinflusst. Jeder weiß, dass es einen Unterschied macht, ob man in eine lieblose sterile Kammer kommt oder in einen schönen Raum mit Blick auf den Garten. Das wird leider noch zu selten berücksichtigt.
Sie entwickelten das Konzept für ein Symposium zum Thema „Raum und Psyche“. Was steckt dahinter?
Bald steht die Sanierung der historischen Nervenklinik an, eines der Standorte der psychiatrischen Universitätsklinik. Das ist gerade eine kreative Phase, wo noch alles möglich ist. Wir haben die große Chance, bei der Planung von vornherein auf die Bedürfnisse der Patienten, Angehörigen und Mitarbeiter einzugehen. Aus diesem Anlass wollen wir darüber diskutieren, welche Bedeutung der Raum für die Psyche hat. Dabei geht es auch um die Gesellschaft. Welche Räume gibt es, damit wir gesund bleiben? Welche Räume hält die Gesellschaft für ihre seelisch Kranken bereit, damit sie gesund werden? Schaut sie hin und kümmert sich um heilsame Behandlungsverhältnisse? Und finanziert sie die konsequenterweise?
Dazu wird es Meinungen aus verschiedenen Fachrichtungen geben.
Wir konnten Experten aus Psychiatrie, Geschichte, Ökonomie, Politik und Architektur gewinnen, darunter auch der bekannte Philosoph Peter Sloterdijk. Es ist wichtig, über den Tellerrand hinauszuschauen und nicht an der Klinikmauer mit dem Denken aufzuhören. Mit diesen Leuten können wir eine kritische Zeitdiagnose stellen und unerschrocken eine Vision entwickeln, wie es denn sein könnte. Es hat mich überrascht und gefreut, auf welch großes Interesse das Symposium gestoßen ist, und das nicht nur bei den Experten. Es war nach wenigen Tagen völlig ausgebucht.
Es geht aber nicht nur um rationales Diskutieren. Warum haben Sie auch Tänzer und Musiker eingeladen?
Weil die Teilnehmer Räume und ihre Wirkung unmittelbar erfahren sollen – ohne Worte, das ist unverzichtbar. Die Kunst verknüpft innere und äußere Räume, besonders Tanz und Musik. Mir fielen bei der Planung des Symposiums gleich die meisterhaften Raumerkundungen der Tänzer der „Compagnie Sasha Waltz & Guests“ ein. Sie werden mit Musikern vom „ensemble unitedberlin“ in einer Choreografie durch die verschiedenen Räume der Klinik führen, vom Garten über die Flure bis zum Hörsaal. Kunst stellt an sich einen unschätzbaren Freiraum dar, den man immer einbeziehen muss. Das ist auch eine Erfahrung meiner psychiatrischen und psychoanalytischen Arbeit.
Was passiert eigentlich mit der Psyche eines gesunden Menschen, der jeden Tag in einem verglasten Büro sitzt?
41, ist Psychiater und Psychotherapeut an der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité sowie Leiter des Früherkennungs- und Therapiezentrums für beginnende psychotische Erkrankungen.
Das ist natürlich individuell. Manche mögen es, manche stresst es. Dem Einzelnen sollte aber klar sein, wo er seine Freiräume und Rückzugsräume hat, wo er sich erholen kann. Es hilft, wenn man Orte kennt, die einem guttun. Die können sehr unterschiedlich sein: die Spree, die Philharmonie oder das Berghain.
Ist Berlins öffentlicher Raum gesund für die Seelen seiner Bewohner?
Er bietet sehr viel. Auch hier passt nicht jedem alles. Aber es gibt viele Nischen und Möglichkeiten. Jeder kann finden, was zu ihm passt. Und auch mal nach Brandenburg fahren.
Würden Sie trotzdem etwas verändern?
Das (bereits ausgebuchte) Symposium „Raum und Psyche“ findet am Samstag statt.
Experten aus verschiedenen Fachrichtungen werden ihre Ideen zum Thema „Raum und Psyche“ äußern. Neben Vorträgen und einer Podiumsdiskussion steht eine Tanzchoreografie der „Compagnie Sasha Waltz & Guests“ auf dem Programm.
Veranstalter ist die psychiatrische Universitätsklinik. Sie stellt mit ihren zwei Standorten in Mitte mehr als 200 Betten für seelisch kranke Menschen zur Verfügung. Seit ihrer Gründung Anfang des 19. Jahrhunderts bestimmt sie das Fachgebiet der Psychiatrie entscheidend mit.
Wir sollten uns immer wieder klarmachen, wie wichtig der Erhalt von Winkeln und Nischen für jeden Menschen ist. Wir brauchen Orte ohne Angst für Begegnungen, wo es keine Stigmatisierung gibt, sei sie kulturell, materiell oder durch Krankheit bedingt. Ich hoffe sehr, dass die Verantwortlichen der Stadt diese „Denk-, Fühl-, Reflexions-Räume“ weiter schützen. Denn die Orte fallen heute schnell der Effizienz und ökonomischen Interessen zum Opfer. Sie sind aber unglaublich wertvoll.
Die Sanierung der Gebäude der alten Nervenklinik steht also bald an. Was muss dabei besonders beachtet werden?
Wir sollten wirklich Zeit für die Befragung der Nutzer dieses Raumes bekommen. Betroffene, Angehörige und Mitarbeiter müssen dem Architekten sagen können, was nötig ist. Die psychiatrischen Kliniken waren früher die großen Anstalten am Stadtrand. Mitte der 70er Jahre wurden sie in allgemeine Krankenhäuser in die Stadtmitte integriert. Die sehen aber oft bis heute wie Chirurgiestationen aus, mit Dreibettzimmern und einem Gemeinschaftsraum. Das ist absurd, man würde ein gebrochenes Bein ja auch nicht auf der Analysecouch eines Psychiaters behandeln. Die psychiatrische Klinik der Charité im St.-Hedwig-Krankenhaus zeigt, dass es besser geht. In der Soteria, einer Station für junge Menschen mit psychotischen Erkrankungen, kann man sich wohl fühlen. Der Architekt der Station gewann dafür den renommierten BDA-Preis des Bundes Deutscher Architekten. Planungsmehraufwand lohnt sich.
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