: Unesco statt Eimer
Herdanziehung Kartoffelsalat sollte zum Weltkulturerbe ernannt werden – aber nur mit dem richtigen Material selbst zubereitet
von Denny Carl
Ein Freund ruft an. Er teilt mit, dass er sich mit der Tatsache konfrontiert sehe, zeitnah zu nullen und gerade die Feierlichkeiten dazu plane. Das Rösten rohen Fleischs in einer öffentlichen Grünanlage im Beisein vieler Wegbegleiter stelle dabei den Höhepunkt dar. Ich und „’n Salat oder so’n Zeuch“ seien dazu herzlichst eingeladen. Mitbringparty eben. Steigende Lebenshaltungskosten, viele Gäste und so. Ich hätte doch Zugang zum Großhandel und könne ja „’nen Eimer Kartoffelsalat“ erwerben. Geht klar? Geht klar.
Er hätte mich auch bitten können, einen Bottich Klärschlamm beizusteuern, und ich wäre nicht angewiderter gewesen. Industriellen Kartoffelglibber bringt man nur Freunden mit, die man nicht mag. Außerdem gehört Kulturgut nicht in Eimer. Kartoffelsalat ist schließlich Stützpfeiler in der wackeligen Statik von Weihnachtsfesten. Ein mit Tradition abgeschmecktes Must-have bei Familienfeiern oder Grillpartys. Selbst in schlechten Zeiten war er ein Gute-Laune-Macher. Seine vielen regionalen Varianten machen den deutschen Föderalismus essbar. Ich fordere: Unesco statt Eimer!
Am Vorabend der Party stehe ich mit Linda in der Küche. Sie sieht toll aus: sanft gebräunte Haut und wohlgeformte Rundungen. Aber das Beste an ihr: Sie ist festkochend. So sollte die Hauptzutat eines Kartoffelsalats sein, wird sie doch im Laufe der Salatwerdung – ähnlich den Gästen des morgigen Abends – einiges an Flüssigkeit aufnehmen.
Linda hat einen herrlich intensiven Geschmack und ein leuchtend gelbes Inneres. Leider ist sie mitunter schwer oder nur als Nachzüchtung namens Belana zu bekommen. Von hiesigen Äckern gibt es sie ab August. Wer nach Linda vergeblich sucht, kann sich auch mit Ditta, Nicola, Selma oder Sieglinde sorgenfrei in die Küche begeben.
Da unter meine Badewanne leider kein Gasbrenner passt, wuchte ich das größtmögliche Kochgeschirr aus dem Schrank. Mein guter, alter Pastatopf aus funkelndem Edelstahl. Der Anblick der im Licht glitzernden Tropfen auf den gewaschenen und gebürsteten Knollen im silberfarbenen Topf ist so sinnlich, dass ich etwas verweile.
Wasser rein, Herd an, Kümmel dazu. Das großzügige Kümmeln des Kochwassers entstammt der Expertise meiner Liebsten, die somit nicht nur mehr Würze in mein Leben gebracht hat. Ohnehin steckt so ein Kartoffelsalat voller kleiner Details, besonderer Zutaten und über Generationen weitergegebener Kniffe. Wenn ein Rezept verlangt, etwas Flüssigkeit der Gewürzgurken und einen säuerlichen Apfel in den Salat zu geben, dann weiß ich genau, dass die Verfasser meine Oma kannten.
Wer den Biss auf rohe Zwiebeln verabscheut, kann diese blanchieren. Es erleichtert zudem ihre Behandlung im Gastrointestinalen. Dass das Öl, welches idealerweise reich an Qualität, aber arm an Geschmack ist, als letzte Zutat in die Schüssel kommt, ist auch so eine Weisheit erfahrener Salatisten. So werden aus den Kartoffelscheiben oder -würfeln Geschmacksträger und keine Öltanker.
Vieles ließe sich noch nennen, von den richtigen Kräutern bis zu Zutaten wie Speck und Fisch. Kontroverse Diskurse über Mayonnaise inklusive. Konsensfähig ist, die gegarten Kartoffeln lauwarm zu pellen und sofort mit den übrigen Zutaten zu vermengen. Bis auf das Öl natürlich. Bei der Brühe hadere ich stets, inspiriert ihre Menge doch zu der Frage, ob es Salat oder Suppe werden soll. Doch schon bald ist kaum noch Flüssigkeit zu sehen. Nun wird alles vorsichtig durchmengt. Ich liebe dieses schmatzende Geräusch, das dabei entsteht.
Das Abschmecken spare ich mir zunächst. Das lohnt erst nach ein paar Stunden, wenn alles gut durchgezogen ist. Denn neben Lindas oder Sieglinden gibt es noch eine unverzichtbare Zutat für Kartoffelsalat: Zeit. Mindestens drei Stunden.
„Der ist von dir, ne? Schmeckt anders als sonst. Aber total lecker“, spricht mich am nächsten Abend ein Partygast an. Seine weiße Plastikgabel deutet auf das kleine Kartoffelsalatgebirge auf seinem Pappteller. Ich jubele innerlich, bejahe und grüble: Anders? Ob er wohl sonst aus Eimern isst?
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