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Wie viel Kritik darf‘s denn sein?

Kommunikation Bei der ersten Aufarbeitung des deutschen Auftritts bei der Frauenfußball-WM werben Bundesligavertreter für eine offene Debatte

FRANKFURT taz | Nun hat es der deutsche Frauenfußball schwarz auf weiß. Die Vormachtstellung ist dahin. Seit Freitag weist die Fifa-­Weltrangliste den WM-Vierten Deutschland nicht mehr als Führenden, sondern auf dem zweiten Rang hinter Weltmeister USA aus. Der Spitzenplatz wird sich so schnell nicht zurückerobern lassen, denn die im zweiten Halbjahr anstehenden EM-Qualifikationsspiele gegen Ungarn (18. September), Kroatien (22. September), Russland (22. Oktober) und Türkei (25. Oktober) sind eher Pflichtaufgaben. Der Rahmenterminplan mit der Frauen-Bundesliga ist am Donnerstag auf der Managertagung in der DFB-Zentrale festgezurrt worden, wo zudem die Aufarbeitung der Vorkommnisse bei der Frauen-WM rund ums deutsche Nationalteam anstand.

Die Dissonanzen zwischen Bundesliga und Bundestrainerin waren zwangsläufig ein wichtiger Teil der Tagesordnung. Noch in Kanada hatte Siegfried Dietrich als Manager des 1. FFC Frankfurt und wichtiges Sprachrohr aus der DFB-Kommission Frauen-Bundesliga angemahnt: „Ich wünsche mir, dass sich auch die Bundestrainerin kritikfähig zeigt.“ Silvia Neid wohnte der Unterredung am Donnerstag indes nicht bei: Die 51-Jährige hatte sich bereits in den Urlaub verabschiedet.

Die seit einem Jahrzehnt im Amt befindliche Chefin hat sich mit ihren Erfolgen und ihrem Mitarbeiterstab eine Machtfülle aufgebaut, die bei Schelte von außen einen imaginären Schutzpanzer erlaubt. Die FAZ hat dazu festgestellt: „Das vom DFB einst lobenswerterweise durchgesetzte Frauenförderprogramm, durch das nahezu alle Posten im Bereich des Frauenfußballs mit ehemaligen Spielerinnen einer Generation besetzt wurden, hat zu einer Atmosphäre geführt, in der keiner dem anderen wehtun will. Schlechte Ergebnisse werden öffentlich schöngeredet, intern nicht wirklich diskutiert.“

Kritische Geister ereilt ein Gefühl der Ohnmacht; gerade wenn sie aus dem mit raueren Umgangsformen vertrauten Männerbereich kommen wie Colin Bell, Trainer vom 1. FFC Frankfurt, ehemaliger Zweitligaprofi vom FSV Mainz 05. Seine fachlich fundierte Kritik wurde auch von einigen der WM-Berichterstatter missbilligt, die sich wiederum nicht scheuten, die Bundestrainerin nach dem glücklich im Elfmeterschießen gewonnenen Viertelfinale gegen Frankreich zu umarmen. Doch als nach dem verdient verlorenen Halbfinale gegen die USA angesagt wurde, die Analyse zu vertiefen, geschah Erstaunliches. Der Zeitpunkt von Bells Kritik sei unpassend, hieß es. Aber hätte dem gebürtigen Engländer nach der WM noch irgendeiner zugehört, wenn der Frauenfußball wieder in seiner Nische verschwindet? Sogar Bundestrainer Joachim Löw geißelte in der Bild-Zeitung den „miesen Stil“ unter Kollegen.

Hat Löw denn inzwischen vergessen, wie das damals unter ­Jürgen Klinsmann im Männerbereich war? Im hitzigen Vorlauf zur WM 2006 feuerten Vereinstrainer wie der beim FC Bayern angestellte Felix Magath eine Breit­seite nach der anderen auf das National­team ab. Und noch bis 2008 gab der für den FSV Mainz 05 arbeitende Jürgen Klopp vor einem Millionenpu­blikum am ZDF-Taktiktisch seine Expertisen zur DFB-Auswahl ab. Manch ein Hinweis hat sich sogar als befruchtend erwiesen.

Warum dürfen diese Maßstäbe nicht auch fürs weibliche Segment gelten? Nichts anderes verlangt Dietrich: „Es muss erlaubt sein, dass Experten aus unserer Liga sachliche Kritik üben, wenn offensichtlich ist, dass mehr möglich gewesen wäre.“ Nun heißt es beim Verband, Silvia Neid und ihre Gefolgschaft solle nicht gegen jede Einmischung von außen abgeschottet werden, sondern alle Beteiligten sollten erst einmal zur Ruhe kommen. Dann werde man sich schon noch zusammensetzen. Aber wird dann auch Klartext geredet?Frank Hellmann

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