Heldinnen mit Spirit

WELTMEISTERIm Finale spielen die US-Amerikanerinnen wieauf Droge. Beim 5:2 gegen Japan ist nach 16 Minuten schon alles entschieden. Hinter dem spektakulären Erfolg steckt – bei allen Entertainer-Qualitäten – akribische Arbeit

Eine für alle, alle für eine: Die US-Frauen feiern ein Tor von Carli Lloyd (Nr. 10) Foto: USA TODAY Sports

AUS VANCOUVER Doris Akrap

Was für eine Show! Was für ein Pathos! Was für ein denkwürdiges, großartiges, rauschendes Finale hat das US-Team dieser WM geschenkt. Es waren wahrlich nicht nur die Japanerinnen überrascht. Der Verdacht, der 5:2-Finalerfolg von Vancouver sei einem ausgepowerten japanischen Team zu verdanken, ist Quatsch.

Im Finale standen zwei Teams, die eines gemeinsam haben: Sie haben das ganze Turnier nicht nur ihre Startelf variiert, sondern auch die Spielerinnen auf verschiedenen taktischen Positionen eingesetzt. Der japanische Trainer hat gar in allen Partien mit komplett neuen Teams gespielt. Er hat seinen Superstar Homare Sawa auf der Bank sitzen lassen, sie nur als Joker eingewechselt. Der Auftritt der Japanerinnen war nicht berauschend, aber vor diesem Finale hatte es keinen einzigen rauschenden Auftritt gegeben. Die „Nadeshiko“ waren das einzige Team, das nicht nur mit langen Bällen, sondern technisch raffiniert über das Kurzpassspiel den Weg nach vorne fand und auch noch im Strafraum kombinierte.

Und ähnlich variantenreich, wenn auch ganz anders führte Jill Ellis, Trainerin des Team USA, Regie. Nach dem ersten Spiel hat sie einen Wechsel vorgenommen, der sie den Kopf hätte kosten können. Sie ließ die Legende und langjährige Kapitänin, die 35-jährige Abby Wambach, gegen Schweden auf der Bank sitzen und stellte stattdessen die 32-jährige, ehemalige Abwehrspielerin Carlie Lloyd als Kapitänin auf den Platz. Und die machte das Turnier ihres Lebens. Mit vier Toren in 16 Minuten im Finale. Anders als die lautstarke Abby Wambach, die als Medienpüppchen gehypte Alex Morgan oder die wegen ihrer schrägen Eskapaden geschmähte Hope Solo tritt ­Llloyd immer besonnen, ruhig und ohne Glitzer im Gesicht auf. Was aber nicht bedeutet, dass sie in ihren Überzeugungen weniger performativ ist.

USA: Solo - Krieger, Johnston, Sauerbrunn, Klingenberg - Holiday, Brian - Heath (79. Wambach), Lloyd, Rapinoe (61. O‘Hara) - Morgan (86. Rampone)Japan: Kaihori - Ariyoshi, Iwashimizu (33. Sawa), Kumagai, Sameshima - Sakaguchi, Utsugi - Kawasumi (39. Sugasawa), Miyama - Ohno (59. Iwabuchi), OgimiSchiedsrichterin: Kateryna Monzul (Ukraine)ZuschauerInnen: 53.341Tore: 1:0 Lloyd (3.), 2:0 Lloyd (5.), 3:0 Holiday (14.), 4:0 Lloyd (16.), 4:1 Ogimi (27.), 4:2 Johnston (52./Eigentor), 5:2 Heath (54.)Gelbe Karten: Fehlanzeige/Sawa, Iwabuchi

„Ich will nicht nur eine Teilnehmerin einer WM sein, sondern ein Vermächtnis hinterlassen. Ich will, dass sich die Leute an mich erinnern“, hatte sie nach dem Viertelfinale gegen China gesagt. Mit ihren sechs WM-Toren – stolze drei davon im Finale – hat sie das geschafft. Und mit einem Tor von der Mittellinie aus geschossen, das in die Geschichte des Frauenfußballs als tollstes, irrstes, surrealstes Tor eingehen wird.

Carlie Lloyd kann das, was in Vancouver passiert ist, gar nicht recht realisieren. „Irgendetwas ist mit dem Team nach dem Halbfinale passiert“, sagt Lloyd. „Es gab kein Zweifeln und kein Zögern mehr.“ Die USA haben im Verlauf des Turniers etwas gezeigt, was die Deutschen beschwören, aber nicht haben: Spirit. Natürlich ist das Team auf Drogen. Auf der Droge der einzigartigen Inszenierung. Fox Sports hatte das Team vorab in Trailern vermarktet, in Talkshows geschickt, als Marke gepusht. Wenn man unbedingt nach einer Lehre, einer Botschaft, einer Zukunftsprognose sucht, die diese WM liefern kann, dann ist es die, dass außer athletischer Stärke (Deutschland) und technischer Überlegenheit (Frankreich) nötig ist, was die US-Amerikanerinnen „mental strenght“ nennen.

Die neuen Weltmeisterinnen sind sich ihrer Entertainer-Qualitäten bewusst ist und deswegen spielen sie auch so locker, als seien sie gerade Statisten in einem neuen Werbetrailer für eine US-Serie. Das US-Team ist Teil der popkulturellen Erzählung von Helden und emanzipierten Frauen. Jill Ellis und ihr Helferstab haben es geschafft, ein Turnier mit einer Torhüterin zu gewinnen, gegen die ein Verfahren anhängig ist, weil ihr häusliche Gewalt vorgeworfen wird.

Von Europa aus mag das alles befremdlich klingen. Aber der vordergründige Eindruck der US-Girls als nervende kamerageile Kreischgirls mit wuchtigem Körperspiel kontern sie damit, dass ihnen Kritik immer willkommen sei. Und so wie die Trainerin, so wie die Spielerinnen agiert haben, glaubt man ihnen das auch.

Sie spielten so locker, als seien sie gerade Statisten in einem neuen Werbetrailer für eine US-Serie

Es ist Unfug, den US-Girls zu unterstellen, sie würden nur mit hollywoodreifen Auftritten gewinnen. Eine bemerkenswerte Weiterentwicklung der technischen Fähigkeiten attestiert etwa auch Japans Coach. Unter dem schwedischen Ko-Trainer Tony Gustavsson haben die US-­Girls Standardsituationen perfekt einstudiert und kennen auch die Tricks der Gegnerinnen sehr genau.

„Die 99er haben uns nach vorne gebracht“, sagt Sydney Leroux, die das Finale auf der Bank verbrachte. „Jetzt sind die 15er dran.“ Damit spielte sie auf die WM 1999 und den US-Sieg im eigenen Land an, den sie als 16-Jährige mit offenem Mund bestaunt hatte. Ihr wurde damals klar, dass sie Teil eines solchen Teams sein wolle. Eine WM gewinnt man auch im Frauenfußball nicht mehr, wenn man als Dampfwalze auftritt. Eine WM gewinnt man, wenn man die richtige Mischung aus erfahrenen und ungestümen Spielerinnen zusammenstellt und die richtige Mischung aus Technik, Taktik und Teamspirit findet. Den US-Girls ist dies immer besser gelungen. Sie sind ein Turnierteam. Das ist ein Kompliment.