Europas Krise

Politiker aus ganz Europa bedrängen Griechenland, endlich klein beizugeben. Im Land selbst fürchtet man eine Katastrophe

Countdown bis Sonntag

Nervenkrieg Rettung in letzter Minute oder Rauswurf aus dem Euro? Die Gläubiger lassen Griechenland nur noch vier Tage bis zur Entscheidung. Auch die Europäische Zentralbank erhöht den Druck. Tsipras erntet im EU-Parlament Beifall und Buhrufe

Griechenlands Premier Alexis Tsipras am Mittwoch im EU-Parlament  Foto: Jean-Francois Badias/ap

aus Brüssel Eric Bonse

Wenige Tage nach dem umstrittenen Referendum gegen die europäische Austeritätspolitik fängt Griechenland wieder ganz von vorn an. Ein neuer Hilfsantrag, detaillierte Spar- und Reformpläne, eine penible Prüfung durch die Eurogruppe: Das ganze verhasste Prozedere, das Premierminister Alexis Tispras eigentlich hinter sich lassen wollte, hat am Mittwoch wieder begonnen.

„Dies ist unsere letzte Chance, sonst werden wir in 4 Tagen in einem anderen Europa aufwachen. Moral bedeutet, seine Schulden zu bezahlen“

Donald Tusk, EU-Ratspräsident

Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Diesmal bleiben Tsipras nur vier Tage Zeit, um seine Gläubiger zu überzeugen. Denn am Sonntag soll endgültig Schluss sein. Dann wollen sich nicht nur die 19 Euroländer, sondern gleich alle 28 EU-Staaten auf einem Sondergipfel in Brüssel treffen. Dort werden sie dann über das Schicksal Griechenlands entscheiden – und über das der EU.

Denn diesmal geht es ums Ganze: Entweder beginnen die Verhandlungen über neue Milliardenhilfen – oder Griechenland wird aus dem Euro herausgeworfen. „Wir haben ein Grexit-Szenario im Detail vorbereitet“, warnte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Dienstagabend in Brüssel. „Dies ist unsere letzte Chance, sonst werden wir in einem anderen Europa aufwachen“, droht Ratspräsident Donald Tusk, dessen Land Polen nicht einmal im Euro ist.

„Sie lieben das Scheitern, wir den Erfolg. Sie lieben die Spaltung Europas, wir den Kompromiss“

Manfred Weber, EU-Abgeordneter der CSU

Es ist das erste Mal, dass die EU-Chefs offen mit einem Ausschluss aus der Währungsunion und womöglich sogar aus der EU drohen. Ein Euro-Austritt ist in den EU-Verträgen gar nicht vorgesehen; streng genommen wäre er nur bei gleichzeitigem Verlassen der EU möglich. Zuvor hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits mit einem „zeitweisen“ Rauswurf aus dem Euro gedroht.

„Ich denke, es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mein Heimatland zum Versuchslabor für die Sparpolitik in letzten fünfeinhalb Jahren geworden ist“

Alexis Tsipras, Ministerpräsident von Griechenland

Neu ist auch, dass die Euro-Verantwortlichen am Geldhahn drehen, um Griechenland zum Einlenken zu zwingen. Die bisher üblichen Notkredite für die griechischen Banken könnten eingestellt werden, so der französische Notenbankchef Christian Noyer. Sollte es keine Hoffnung auf eine Einigung geben, müsse die Europäische Zentralbank (EZB) die Nothilfen für die griechischen Banken unverzüglich beenden. Als wahrscheinlichster Termin gilt Montag, der Tag nach dem Sondergipfel.

Warum plötzlich alles so schnell gehen muss, ist unklar. Bisher galt immer der 20. Juli als letzte „Deadline“. An diesem Tag muss Griechenland Milliardenschulden bei der EZB bedienen – wenn es das nicht kann, entfällt die Geschäftsgrundlage für die Geldversorgung aus Frankfurt. Doch so lange wollen die Euro-Chefs nicht mehr warten. Offenbar fürchten sie, dass sonst die Finanzmärkte nervös werden könnten und die Krise noch größer wird.

„Wir sind fest entschlossen, keine Konfrontation mit Europa zu betreiben, sondern mit dem Establishment in unserem Land“

Noch mal Alexis Tsipras

Die einfachste Lösung wäre gewesen, Griechenland eine Art Überbrückungskredit zu gewähren, um die EZB auszuzahlen und die Banken wieder flottzumachen. Tsipras hatte dies auch mehrfach ins Gespräch gebracht, war jedoch abgeblockt worden. Beim Gipfel am Dienstag erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, warum: Über eine kurzfristige Zwischenfinanzierung werde man erst reden, wenn sich Athen auf langfristige Reformen verpflichtet habe.

„Wir brauchen eine Lösung nicht nur für Griechenland, sondern für alle Krisenländer“

Rebecca Harms, EU-Abgeordnete der Grünen

Einen solchen Reformplan will Tsipras nun am Donnerstag vorlegen. Ziel eines neuen Hilfsprogramms müsse sein, die Belastungen für die Bevölkerung gerechter zu verteilen, sagte er bei einer von Beifall und Buhrufen begleiteten Rede im Europaparlament. Allerdings blieb Tsipras konkrete Vorschläge schuldig. Somit bleibt unklar, ob er eine abgespeckte Version seines letzten Reformprogramms vorlegen wird. Darin hatte die griechische Regierung die meisten Vorgaben der Gläubiger übernommen, aber Erleichterungen bei den Renten und der Mehrwertsteuer gefordert.

„Ich wäre dankbar gewesen, wenn man alles gesagt hätte. Vieles wurde noch nicht gesagt“

Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission

Unklar ist auch, wie groß die nächste Finanzspritze ausfallen soll. Die Regierung stellte am Mittwoch einen Antrag auf Gelder aus dem Eurorettungsfonds ESM mit einer Laufzeit von drei Jahren, nannte jedoch keine Zahlen. Auch die Euro-Chefs haben sich nicht festgelegt.

So läuft alles auf den finalen Showdown am Sonntag zu – es sei denn, die Eurogruppe zieht schon vorher die Reißleine. Sie will die Unterlagen aus Athen am Freitag oder Samstag prüfen und dann an die EU-Chefs weiterreichen. Wenn das Votum der Finanzminister positiv ausfällt, besteht noch eine Chance auf Einigung. Wenn nicht, dürfte der Sondergipfel Tsipras fallen lassen.