Manhattan in Hamburg

Wohnmaschine Das Grindelviertel war Deutschlands erste Wohnhochhausstadt. Die zwölf Scheibenhäuser stehen in einem Gründerzeitviertel. Leicht und luftig wirken sie

Im Sommer, wenn viele Mieter ihre Markisen ausgerollt haben, wirkt das Ganze fast idyllisch

Die Nachkriegsmoderne hat in Hamburg mit einem Paukenschlag begonnen. Zwölf Scheibenhochhäuser, mit gelbem Klinker verkleidet, setzte der Senat 1957 mitten in ein vom Bombenkrieg ausradiertes Gründerzeitviertel am Grindelberg. Schon der Blick von oben offenbart eine Struktur, die sich radikal von der Blockrandbebauung der Umgebung unterscheidet: Wie ein Geschwader Schiffe, das nach Norden fährt, liegen sie im Häusermeer. Ein Fremdkörper, aber einer, mit dem man leben kann.

Die offene Anlage dieser Wohnhochhäuser unterscheidet sich grundlegend vom Trutzburgen-Charakter der Hochhaussiedlungen, die in den 60ern und 70ern errichtet wurden. Die Häuser stehen parallel zueinander in einem öffentlichen Park. Schmal, mit großflächig verglasten Erdgeschossen wirken sie filigran und seit der Sanierung, die großteils vor zehn Jahren abgeschlossen wurde, auch wieder schick. Die Häuser beweisen: Auch im Hochhaus kann man schön wohnen.

Das beginnt bei den verglasten Foyers. In der Nummer 24 schwingen sich frei stehende, weiß gestrichene Treppenspindeln zum ersten Stock auf – was für ein Unterschied zu den engen, unübersichtlichen Eingängen späterer Wohnhochhäuser, die nicht nur unpraktisch, sondern manchmal regelrechte Angsträume sind.

Der hellgelbe Klinker der Grindel-Hochhäuser, bewusst als Kontrapunkt zum roten Klinker aus der Ära des Oberbaudirektors Fritz Schumacher gesetzt, wirkt freundlich. Die Fassaden sind in kurze Sequenzen aus Balkonen und Fenstern gegliedert, so dass sich der Blick nicht auf den großen Flächen der neun- bis 15-stöckigen Scheiben verliert.

Im Übrigen sind die Fassaden alle verschieden: Die Art, Größe und Anordnung der Fenster variiert von Scheibe zu Scheibe. Mal sind Loggien eingebaut, mal einzelne Stockwerke versetzt. Im Sommer, wenn viele Mieter ihre Markisen ausgerollt haben, wirkt das Ganze fast idyllisch.

Hier zu wohnen, galt in den 50ern als Inbegriff der Modernität. Die Wohnungen waren hell, hatten Zentralheizungen, warmes Wasser, Müllschlucker und Aufzüge. Die Anlage hatte ihre eigene Tankstelle, eine Tiefgarage und eine Wäscherei. In den Erdgeschossen gab es Läden, Büros und Praxen – eine „Wohnmaschine“, die die Bewohner kaum verlassen mussten.

Dass auf den Ruinen des alten Grindelviertels Deutschlands erste Wohnhochhaussiedlung entstand ist den britischen Alliierten zu verdanken. Die hatten geplant, an dieser Stelle das Hauptquartier für die britischen und amerikanischen Streitkräfte zu errichten. Nach der Entscheidung, das Hauptquartier nach Frankfurt am Main zu verlegen, waren die zwölf Fundamente bereits fertig. „Zehntausend Tonnen Stahl, Bauzaun, fünfzehn Baracken und drei Nissenhütten warteten auf weitere Verwendung“, erklärt die Hamburger Kulturbehörde.

Der Senat entschied sich nach einiger Bedenkzeit, das Projekt der Briten fortzuführen. Neben den Wohnhäusern errichtete er ein Verwaltungsgebäude für das Bezirksamt Eimsbüttel. Der Großteil der Hochhäuser gehört der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga/GWG. Im Jahr 2000 wurden sie in die Denkmalliste eingetragen. Gernot Knödler