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Enthüllungen zu MerkelIch habe keine Ahnung

Dank Wikileaks wissen wir: Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel fühlte sich „ratlos“ angesichts der Griechenland-Causa. Wie erleichternd.

Na? Mal wieder unentschlossen? Kein Problem, geht Merkel auch so. Foto: Photocase / Stihl024

Ich habe keine Ahnung. Es fällt dieser Tage noch schwerer als sonst, das so deutlich hinzuschreiben. Ich. Habe. Keine. Ahnung. Ich habe weder Betriebswirtschaft studiert noch internationales Recht, ich bin kein Währungsexperte und auch nicht über Gebühr mit griechischer Innenpolitik vertraut.

Zugleich bin ich umstellt von Leuten, die eine Ahnung haben. Die, mehr noch, alles genau wissen. Sie reden von rechts oder links in Talkshows hinein, schreiben in der SZ oder der FAZ ihre Kommentarspalten voll oder melden sich bei Facebook zu Wort.

Teilweise sind das Leute, von denen ich überhaupt nicht ahnte, dass sie eine so große Ahnung haben von ökonomischen Zwängen und Zusammenhängen. Ich kann dann nur staunen, was die alles wissen.

Ergeben lausche ich jeder Wortmeldung der Experten und denke: „Stimmt, da ist was dran!“ Und dann lese ich, was eine Expertin aus dem anderen Lager so meint, und denke: „Stimmt, da ist was dran!“ Mit diesem Gedanken trage ich mich dann so lange, bis ich wieder die gegenteilige Position eines Menschen höre, der auch eine Ahnung hat.

So schwanke ich hin und her, was an meiner grundsätzlichen Meinung nichts ändert. Natürlich weiß ich, wovor ich mich als aufrechter Mensch zu ekeln habe und wem meine Sympathien gehören. Darum geht es aber nicht, auch wenn uns die allgemeine ideologische Mobilmachung das weismachen will.

Jeder will was, alle haben sie Ahnung. Oder doch wenigstens Interessen.

Es ginge doch darum, was man in einer „Gemeinschaft“ konkret machen oder bleiben lassen sollte, um die Folgen einer Katastrophe für die persönlich – nicht finanziell! – Betroffenen abzufedern. Was das ist? Keine Ahnung. Seit Donnerstag weiß ich, dass Angela Merkel auch keine Ahnung hat.

„Ratlos“

Nicht, dass ich das nicht längst geahnt hätte. Und doch nahm ich zu ihren Gunsten und meiner Beruhigung bisher an, die Kanzlerin leihe ihr Ohr den Besten der Besten. Referenten für Betriebswirtschaft und internationales Recht, promovierten Währungsexperten und habilitieren Spezialisten für griechische Innenpolitik, glühende Drähte zu Gott und der Welt.

Jetzt erfahre ich dank Wikileaks, was US-Geheimdienste schon 2011 wussten, dass nämlich auch die mächtigste Politikerin Europas angesichts der Schuldenfrage Griechlands vor einem Berg von Zweifeln stand und wahrscheinlich noch steht – dass sie „ratlos“ ist, was zu tun sei.

Nun stellt sich also heraus, dass unser Konvoi auf hoher See auf eine Sturmfront zuläuft, während auf der Brücke des Flaggschiffs der Kompass ausgefallen ist. Rechts der Admiralin steht ein Pulk von Ratgebern, der ruft: „Fahren Sie direkt rein, wir halten das aus!“ Links von ihr steht eine Gruppe von Spezialisten, die drängt: „Umfahren Sie das großräumig, um Himmels willen!“

Und immer wieder wird sie von den Kapitänen benachbarter Schiffe angefunkt, aus dem Maschinenraum bedrängt, von den Besitzern der Fracht bequatscht, von Abordnungen besorgter Passagiere belagert und von der Lobby der Rettungsboothersteller angerufen. Jeder will was, alle haben sie Ahnung. Oder doch wenigstens Interessen.

Stimmt auch

Aus der Ferne sieht es so aus, als halte die europäische Flotille ruhig ihren Kurs. Dabei ist es die Ratlosigkeit auf der Brücke des dicksten aller Schiffe, die den ganzen Geleitzug in schweres Wetter führt. Auch wenn ohnehin angeschlagene Kutter dabei untergehen und es den Verband in alle Winde zerstreut. Hauptsache, die Schotten sind dicht, die Panoramafenster vernagelt und an Deck der großen Dampfer wird niemand allzu nass.

Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand ratlos und damit auch planlos ist. Das ist menschlich, allzu menschlich. Wenn es allerdings die Chefin ist, die keine Ahnung hat, sollte sie vielleicht nicht Chefin sein.

Gegenüber meiner Wohnung gibt es ein griechisches Café. Dort sitzen Griechen jeden Alters bis spät in die Nacht bei Kippen und Ouzo zusammen und diskutieren. Sie tun dies lautstark und fuchteln dabei mit den Armen. Manchmal scheint es, als brüllten sie sich gegenseitig an. Ich verstehe kein einziges Wort und weiß nicht, worüber sie sich aufregen. Ich habe da aber so eine Ahnung.

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7 Kommentare

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  • Das kommt davon, wenn man eine Frau aus dem Osten zur Kanzlerin macht. Mit einem Mann aus dem Westen wäre das nicht passiert. Nein, nicht, weil der eine Ahnung gehabt hätte. Eine Situation wie die, in der die Griechen grade stecken, hat es so noch nicht gegeben. Es gibt also auch keine Erfahrung damit. Für niemanden. Ein Mann aus dem Westen (Herr Gabriel zum Beispiel) hätte allerdings niemals zugegeben, dass er nicht weiß, wo es langgeht. Nicht einmal vor sich selbst und erst recht nicht am Telefon. Allein deswegen wäre ihm niemals passiert, was Frau Merkel passiert ist. Was nicht gesagt und nicht einmal gedacht wird, kann nämlich auch nicht ausspioniert werden.

  • Ich weiss nicht. Vielleicht darf eine Chefin auch mal keine Ahnung haben - nur muss sie es halt zugeben und daran arbeiten. Gerade das Klima, in dem Entscheidungsträger unbedingt immer Ahnung vorschützen müssen, verleitet logischerweise zu Fehlentscheidungen und macht Politiker manipulierbar.

     

    Interessant ist aber auch, dass in dem Text zweimal nach betriebswirtschaftlicher Ausbildung in Zusammenhang mit der 'Griechenland-Causa' verlangt wird. Dabei müsste es eigentlich um Volkswirtschaft gehen, beliebte Verwechslung, aber eigentlich nur bei Leuten, die wirklich keine Ahnung haben...

    • @Eric Manneschmidt:

      Genau über den Punkt bin ich auch als erster gestolpert. Daher fallen sich kritisch gebende, gar „linke“ Zeitgenossen oftmals auf das von neoliberaler Seite gerne gebrachte Bild der „schwäbischen Hausfrau“ herein und nicken „ratlos“ still und heimlich, wenn´s heißt, „total verschuldet waren sie ja … alles irgendwie unsolide!“

       

      Kapitalistische Volkswirtschaften funktionieren eben nicht wie das Haushaltsbuch der netten Dame aus Backnang.

       

      Noch besser zum Aufzeigen tatsächlicher Alternativen sind gegenüber reinen Volkswirtschaftlern allerdings Ökonomen, die an integrierten Studiengängen in der BRD gelehrt haben (Beispiel Memorandumgruppe „Alternativen der Wirtschaftspolitik“ mit Leuten wie Hickel, Huffschmid (+) oder Schui). Rechts- und sozialwissenschaftliche Aspekte des Wirtschaftsgeschehens waren an Unis wie Bremen Bestandteil unserer Ausbildung. Oftmals diffamiert vom sich damals schon als alternativlos gerierenden Wissenschaftsmainstream und vom Politik-und Medienestablishment.

       

      Also liebe taz-Redakteure, die was von BWL fabulieren, bitte mal dort nachfragen, wo seit Jahrzehnten Konzepte gegen die soziale Spaltung von Gesellschaften entwickelt werden.

  • "Wenn es allerdings die Chefin ist, die keine Ahnung hat, sollte sie vielleicht nicht Chefin sein." - dem ist zustimmen, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß es tatsächlich jemanden gibt, der mehr Ahnung hat. Wie heißt es doch so schön: Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen - ausgenommen alle anderen.

    • @yohak yohak:

      W.z.b.w. - was noch zu beweisen wäre.

       

      Aus betriebswirtschaftlicher Sicht mag die Behauptung, die Demokratie sei die beste aller Staatsformen, ja tatsächlich stimmen, wenn auch nicht für immer und längst nicht für alle bzw. jeden. Volkswirtschaftlich gesehen steht der Beleg dafür aber noch aus. Nicht zuletzt deswegen, weil es gar keine "echte" Demokratie gibt oder gab bisher.

       

      Ob Kriege, Staatsbankrotte und der Klimawandel die Menschheit in der Summe am Ende tatsächlich billiger kommen als ein Modell, bei dem die Freiheit der Reichen, noch reicher zu werden, nicht ganz so groß ist, kann man leider nicht mehr sehen, wenn "alle anderen" Staatsformen nicht mehr existieren. Angela Merkel hat mal wieder Schwein gehabt beim Schlachten. Wenn alle anderen auch nicht wissen, wo es lang geht, stört es die meisten Leute nicht, wenn die Chefin keine Ahnung hat. Die Frage nämlich, wozu Leute ohne Ahnung eine Chefin brauchen, die auch keine hat, ist keine, über die man nachdenkt. Es gab ja schließlich immer schon ganz viele Chefs. Das wird schon seinen Grund haben. Welcher auch immer das sein mag.

       

      Hm. Ich glaube, ich hätte da so eine Ahnung...

  • Schön geschrieben

  • Das ist das, was Varoüfakis 2012 in seinem Buch "Der Globale Minotaurus beschrieben hat und Julian Nida-Rümelin als Die Optimierungsfalle.

    Wir hätten es wissen können! Wer nicht hinschaut, kann nichts sehen (Krabat)

     

    Na sowas? Frau Merkel mit einem Juristen als Finanzminister!

    "Jetzt erfahre ich dank Wikileaks, was US-Geheimdienste schon 2011 wussten, dass nämlich auch die mächtigste Politikerin Europas angesichts der Schuldenfrage Griechlands vor einem Berg von Zweifeln stand und wahrscheinlich noch steht" – dass sie „ratlos“ ist, was zu tun sei.

    Sie sollte sich oder Wirtschaftswissenschaftler fragen, warum wir Export Weltmeister sind und ob das langfristig für eine Volkswirtschaft gut ist und was das für andere Länder bedeutet. Wir haben kein ausgelichenes außenwirtschaftliches Gleichgewicht - das ist der langfristige Fehler!

    Ich sehe Griechenland als eine Chance für uns Menschen! Seit der Antike haben wir von ihnen gelernt und jetzt erst recht1

    Jetzt Nein sagen - Heute in der Druckausgabe DIE ZEIT schreibt Joseph E. Stiglitz S. 5 unter dem Titel "Ein Riesenfehler" wenn wir Griechenland drängen auszutreten und über die deutsche Schuld am Niedergang Griechenlands. Sehr empfehlenswert!

    Dazu ein Video mit Heiner Flassbeck: https://www.youtube.com/watch?v=arjoSCs2Gk0 und ein Interview mit ihm https://www.youtube.com/watch?v=oRVv6ct6CZ4

     

    Es lohnt sich hin zu schauen, damit man etwas erkennen kann!

    Das bringt Erkenntnis!