: Zwei Züge kriegen die Kurve
Einigung Die Deutsche Bahn geht auf die Hauptforderungen der GDL ein – der Arbeitskampf ist beendet. Nicht nur für Lokführer, auch für das andere Zugpersonal hat die Gewerkschaft Verbesserungen erstritten
Aus Berlin Pascal Beucker
Gute Freunde werden sie wohl nicht mehr. Als GDL-Chef Claus Weselsky und Bahnpersonalvorstand Ulrich Weber am Mittwoch in Berlin ihre Einigung im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn präsentieren, vermeiden sie jede Geste der Fraternisierung. Kein gemeinsames Strahlen in die Kameras, kein demonstratives Händeschütteln, nicht einmal ein freundliches Wort hat der eine für den anderen übrig. Der Arbeitskampf, dessen Beendigung an diesem Tag in der Thüringer Landesvertretung verkündet wird, hat auch persönlich Spuren hinterlassen.
Zwischen den beiden Widersachern stehen sichtlich gut gelaunt der Hausherr, Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow, und Matthias Platzeck, der frühere Ministerpräsident Brandenburgs. Als Schlichter ist dem rot-roten Duo gelungen, was Weber und Weselsky allein nicht geschafft haben: „Alles ist unterschrieben, der Tariffrieden ist hergestellt“, sagt Platzeck. Auf absehbare Zeit wird es also keine Streiks mehr geben. „Damit können alle in Ruhe ihre Urlaubsfahrkarten kaufen“, jubiliert Ramelow.
Es war ein hartes Ringen. Fünf statt drei Wochen dauerte die Schlichtung, zweimal musste sie verlängert werden. „Wir sind in eine äußerst angespannte Situation gekommen“, berichtet Platzeck. „Wenn Sie über den Tisch eine Glühbirne zwischen die Verhandlungspartner gehängt hätten, die hätte geleuchtet.“ Zwischendurch habe es sogar einen Abbruch der Verhandlungen gegeben. Ihnen sei es gelungen, „zwei aufeinander zurasende Züge so einzulenken, dass sie am Ende des Tages beide die Kurve gekriegt haben“, lobte Weselsky die beiden Schlichter. Auch Weber dankte ihnen. Es habe ein „faires Kompromisspaket geschnürt“ werden können.
Gut ein Jahr dauerte der Tarifkonflikt bei der Bahn, neunmal hatte die Lokführergewerkschaft GDL in dieser Zeit zum Streik aufgerufen. Millionen Fahrgäste waren betroffen. Nun haben Bahn und Gewerkschaft 14 Tarifverträge und zwei Protokolle unterschrieben, um den Konflikt zu beenden. 450 Seiten stark ist das vereinbarte Konvolut.
Besonders für die GDL kann sich das Ergebnis sehen lassen. So hat sie einen einheitlichen Bundesrahmentarifvertrag für das gesamte Zugpersonal, das bei der GDL organisiert ist, durchsetzen können – also nicht mehr nur für Lokführer, sondern auch für die Zugbegleiter, Bordgastronomen und die Lokrangierführer, deren Einbeziehung besonders umstritten war. Außerdem hat sich der Bahnkonzern verpflichtet, das vom Bundestag bereits beschlossene Tarifeinheitsgesetz, das wohl noch in diesem Monat in Kraft tritt, bis mindestens zum Jahr 2020 nicht anzuwenden. „Langfristgarantie der GDL als Tarifpartner“, nennt das die Bahn. Das Gesetz drohte die GDL in allen Betrieben der Bahn ins Abseits zu stellen, in denen die wesentlich größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) die Mehrheit der Belegschaft stellt.
Ein Erfolg ist auch die Begrenzung der jährlichen Überstunden eines Beschäftigten auf 80. Insgesamt will die Bahn bis 2017 eine Million Überstunden bei den Lokführern abbauen, beim Zugbegleitpersonal sind es 300.000 Stunden. Diesem Zweck soll die Neueinstellung von 300 zusätzlichen Lokführeren und 100 Zugbegleitern dienen.
Bei den Löhnen orientiert sich der Abschluss an dem, den die Bahn Ende Mai mit der EVG geschlossen hat. So werden alle Bahnbeschäftigten ab 1. Juli 3,5 Prozent mehr Geld bekommen, mindestens 80 Euro. Weitere 1,6 Prozent gibt es zum 1. Mai 2016 (mindestens 40 Euro). Hinzu kommt noch eine Einmalzahlung von 350 Euro.
Anders als die EVG forderte die GDL auch eine Arbeitszeitverkürzung. Die soll laut Vereinbarung ab Januar 2018 gelten. Für das fahrende Personal sinkt die Arbeitszeit dann von 39 auf 38 Stunden pro Woche. Die Tarifverträge über die Einkommen haben eine Laufzeit bis 30. September 2016. Die Arbeitszeitregeln gelten bis Ende 2018.
Wichtig für die Bahn: Bis 31. Dezember 2020 gilt ein neues Schlichtungsverfahren. Demnach kann eine der beiden Tarifparteien allein die Schlichtung anrufen, wenn Verhandlungen gescheitert sind. Diese „zwanghafte Schlichtung“ sei „keine Zwangsschlichtung“, sagte GDL-Chef Weselsky. Schließlich sei nicht vereinbart worden, sich in der Schlichtung einigen zu müssen. Diesmal ist es gelungen. Dank Ramelow und Platzeck.
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