: Wasserwerfer und Tränengas
Türkei Schwulen-und-Lesben-Parade am Sonntag in Istanbul wird von Gouverneur kurzfristig verboten
Es sollte anders kommen. Als die ersten TeilnehmerInnen am Sonntagnachmittag den zentralen Taksimplatz und die Istiklal-Fußgängerzone erreichten, erwartete sie die Polizei. Ohne Vorwarnung, wie die Veranstalter sich beklagten, war die Parade von dem Istanbuler Gouverneur Vasip Sahin verboten worden. Als Grund gab die islamische Stadtregierung an, die Parade würde im Fastenmonat Ramadan die Gefühle der Gläubigen verletzen.
Weil die potenziellen DemonstrantInnen auf der Istiklal Caddesi gleich von Wasserwerfern, Tränengasgranaten und Gummigeschossen empfangen wurden, flüchteten alle in die Nebenstraßen und näherten sich auf Umwegen dem Taksimplatz und dem daneben liegenden Gezipark.
Erstaunlicherweise war der Zugang zum Taksimplatz nicht gesperrt, sogar die U-Bahn fuhr noch und lieferte unentwegt Nachschub an DemonstrantInnen und Neugierigen. Rund eine Stunde lang füllte sich der Platz, mehrere Tausend festlich gekleidete und bunt bemalte Schwule, Lesben und Transvestiten feierten trotz Massenaufgebots der Polizei ihre „Parade des Stolzes“. Es wurde getanzt, gelacht und geschrien, bis dann der Räumungsbefehl für die Polizei kam. Gegen 18Uhr rückten die Wasserwerfer vor, und die Regenbogenfahnen wichen zurück. Ein Teil des Taksimplatzes war bereits für die abendliche Iftar-Feier, das Fastenbrechen, abgesperrt, zu dem die Stadtverwaltung ihre Anhänger eingeladen hatte. Ganz gesittet wichen die DemonstrantInnen dem Iftar-Platz aus und zogen sich in den Gezipark zurück. Trotz Wasserwerfern und Tränengas blieb es doch eher bei einem Geplänkel, das nirgendwo in richtige Gewalt umschlug.
Noch auf der Flucht skandierten die DemonstrantInnen: „Wir gehen nicht weg, Liebe gewinnt.“ In den folgenden Stunden verhinderte die Polizei jeden Versuch, doch noch eine Parade zu formieren. Nach Angaben von Teilnehmern stürmte sie am Abend eine private Party und feuerte mit Tränengas in den Veranstaltungsraum.
Seit 2002 hatte in Istanbul jedes Jahr eine „Pride Parade“ stattgefunden, jedes Jahr waren es mehr TeilnehmerInnen. Vor allem im Zuge der Gezi-Bewegung 2013 hatte die Schwulen-und-Lesben-Bewegung mehr und mehr öffentliche Anerkennung erhalten. In diesem Jahr hatte es bereits in der gesamten Woche vor der Parade Konferenzen und Workshops gegeben, die Organisatoren wurden im Mainstreamfernsehen interviewt, alles war für das Großereignis vorbereitet.
Die Wahlniederlage der AKP am 7. Juni hatte ein Übriges getan, für gute Stimmung zu sorgen. Doch wahrscheinlich war es diese Niederlage, die sie zum Gegenschlag ausholen ließ. Da es noch keine neue Regierung gibt, füllen die alten Kader und Bürokraten das Vakuum. Und die wollten den Schwulen und Lesben noch einmal zeigen, wer in der Türkei das Sagen hat. Doch die meisten DemonstrantInnen ließen sich nicht einschüchtern: „Nächstes Jahr werden wir noch viel mehr sein“, riefen sie der Polizei zu. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen