: Fenster auf für gute Nachbarschaft
STADTTEILTHEATER Von singenden Sockenpuppen bis zur Haushaltswarenpercussion: Zum vierten Mal präsentiert „Altona macht auf!“ verkannte KünstlerInnen aus der Nachbarschaft – im eigenen Balkontheater
von Katrin Ullmann
Was haben der rappende Sam, die Wahrheit über den Neubau auf dem Zeise-Parkplatz, Bernds selbst gemachte Frikadellen, ein paar singende Sockenpuppen und eine enthusiastisch gestampfte Body-Percussion gemeinsam? Was verbindet die „Krass Bass Band“ mit einem aus dem Weltall zurückgekehrten „Morphonator“, dem Kultfriseur Gleb Lenz und einer Percussion auf Töpfen, Pfannen und Backblechen?
All diese Menschen, Themen, Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände sind Teil einer Stadtteilperformance. Zum vierten Mal findet das partizipatorische „Altona macht auf! – Sehnsuchtsfenster & Balkontheater“ im Rahmen der Kultur-Altonale statt. Zum vierten Mal öffnen sich in Altona Fenster und Balkone, in und auf denen AnwohnerInnen ihre Sehnsüchte und Wünsche erzählen, rappen, singen, dichten, trommeln, tanzen oder performen – ihre ganz individuellen Vorstellungen vom Leben und auch die von der Zukunft des Stadtteils.
„Mittlerweile sind es 100 Fenster, die aufgehen und über 500 Anwohner, die sich beteiligen“, erzählt Tania Lauenburg nicht ohne Stolz. Schließlich haben nicht nur die steigende Teilnehmerzahl, sondern auch eine große mediale Aufmerksamkeit sowie zahlreiche Auszeichnungen die Idee dieses partizipatorischen Stadtteilprojekts mehr als bestätigt.
Als Lauenburg gemeinsam mit Carsten Brandau das Projekt 2012 ins Leben rief, waren weder der Erfolg noch die enorme Resonanz und Beliebtheit des Konzepts absehbar. Damals verteilten die beiden noch eigenhändig Flyer, um Mitmacher zu gewinnen, wurden bei der Steg und beim Altonaer Spar- und Bauverein vorstellig, genauso wie in Vorgärten und Hinterhöfen, um ihren Grundgedanken des Theaters als Partizipationsmoment in Form von „Altona macht auf!“ zu verbreiten.
Nach ersten Kontakten, freundlichen Vernetzungen und dem einen oder anderen nachbarschaftlichen Abend an der Tischtennisplatte fand in der Stuhlmannstraße schließlich die erste Performance statt. Dafür hatte ein Anwohner sogar Rollrasen organisiert und so seine Straße kurzerhand in einen Park verwandelt. Nun, am kommenden Mittwoch, dem 1. Juli, zwischen 18 und 22 Uhr, finden mittlerweile sechs geführte Touren statt, zum Teil mit dem Fahrrad.
Bei „Altona macht auf!“, tritt ein ganzer Stadtteil aus seiner Anonymität. Und die Zielgruppe umfasst einfach mal alle Einwohner Altonas – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft. Nicht mehr und nicht weniger. Auch die Mitmachbedingungen sind denkbar einfach: „Jeder Balkon, jedes Fenster hat fünf Minuten Zeit“, erläutert Brandau, „und der Balkon muss natürlich in Altona sein.“
Doch sogar Menschen, die nicht in Altona wohnen, können teilnehmen, denn in diesem Fall, „vermittelt das Altona-macht-auf-Team, bestehend aus zwölf Künstlern, einen Balkon von NachbarInnen aus Altona“.
Bei den einzelnen Performances lassen Lauenburg und Brandau den Mitmachern freie Hand, „außer es ist etwas Rassistisches geplant“. Im Vorfeld werden die Teilnehmer von Kunst-Coaches – darunter Knarf Rellöm, Frank Abt, Katharina Oberlik und Yolanda Gutièrrez – unterstützt und können sich außerdem im eigens dafür eingerichteten Ladenbüroraum „Börse der Sehnsüchte“ austauschen.
Was sich letztlich während der Kultur-Altonale auf den jeweiligen Balkonen abspielt, ist auch für die beiden InitiatorInnen jedes Jahr eine Überraschung. Die Bühne, der Balkon gehört an diesen Tagen den Akteuren, die von Lauenburg und Brandau viel Vertrauensvorschuss erhalten. Schließlich lautet deren Prämisse, dass die Anwohner eigenverantwortlich etwas machen, „damit der Stadtteil sichtbar wird“.
Führt das nicht manchmal auch ein bisschen dazu, dass man sich fremdschämt? Was tun bei peinlichen Balkonliebesszenen von ambitionierten Laienromeos? Wie reagiert man bei narzisstischen Selbstdarstellern mit inbrünstiger aber schiefer Tonlage? Und wie bei geschmacksverirrten Verkleidungskünstlern in Karnevalslaune?
Die beiden InitiatorInnen sehen die Sache ganz entspannt und verweisen auf das große Ganze: Bühnenreif müsse das alles nicht sein, Nachbarn machten etwas für Nachbarn. In erster Linie gehe es bei dem Projekt darum, dass sich die Menschen vernetzten – ein Prozess, der das ganze Jahr dauere. „Und all das, was davor passiert, ist fast wichtiger, als die Aufführungen selbst“, sagt Lauenburg.
Mi, 1. 7., ab 18 Uhr gibt es sechs geführte Touren. Alle Termine und Infos im Internet: altona-macht-auf.de
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