piwik no script img

Kreaturen, die die Welt nicht brauchtDer schmarotzende Gehirnwäscher

Biodiversität ist schön und gut. Aber es gibt auch Kreaturen, die die Welt nicht braucht. Zum Beispiel den Leberegel.

Richtig, das ist kein Leberegel, sondern eine Kuh. Kann aber gut sein, dass in ihr Leberegel wohnen. Bild: dpa

BERLIN taz Das kann einem den Urlaub versauen: Man sitzt schön in Thailand, Vietnam oder auch in Rumänien am Wasser, nascht irgendwas mit rohem Fisch - und schwupps, hat man einen Saugwurm mit verschluckt. In Ostasien ist es der Chinesische Leberegel, in Russland und Osteuropa der Katzenleberegel. Egal, welche Art man erwischt - die Folgen sind ähnlich, auch wenn es einmal Chlornorchiose und einmal Opisthorchiose heißt, was im besten Fall Durchfall und Bauchschmerzen, sonst aber Fieber, Gallensteine, Leberentzündungen, Mangel an weißen Blutkörperchen oder gar Gallengang- und Leberkrebs verursacht.

Leberegel sind Schmarotzer, die ohne Wirte nicht lebensfähig sind. Als Dank schädigen sie diese rücksichtslos. Der Große und der Kleine Leberegel sind beinahe weltweit zu Hause, also auch bei uns. Der eine, bis zu 5 Zentimeter lange, lebt auf nassen Weidegründen, der andere, um die Hälfte kürzere, auf eher trockenem Boden. Anders als ihre asiatischen und osteuropäischen Vettern setzen sie als Endwirte auf Tiere - Grasfresser wie Rinder und Rehe. An Menschen kommen sie nur, wenn diese die rohe Leber infizierter Tiere verspeisen - manchmal aber auch über Wildkräuter, an denen sich Ameisen mit Saugwürmern im Gehirn festgebissen haben.

Der Kleine Leberegel richtet bei seinem Endwirt weniger Schaden als der Große an - und hält ihn so für sich und seine Nachkommenschaft länger fit. Vor allem aber beherrscht er eine Technik, von der die meisten Lebewesen nur träumen können: Er manipuliert Gehirne.

Dabei wirkt sein Lebenszyklus nicht gerade hochzivilisiert. Während seiner Entwicklung braucht der Parasit eine ganze Menge ziemlich verfressener Zwischentiere, denen nichts zu unappetitlich ist. Erst platziert er seine Eier in der Leber eines Rindes oder Schafes. Von dort aus landen sie über den Verdauungstrakt im Kot und werden mit ausgeschieden. Wenn dann Schnecken so doof sind, dieses Zeugs zu fressen, ist die erste Hürde überwunden. Im Bauch der schleimigen Kriecher schlüpfen die Wimpernlarven, durchbohren den Darm und machen sich auf ins Atemsystem. Die Schnecke rotzt die kratzenden Viecher in einem Schleimbällchen aus. Aber das nützt nichts mehr. Der Schmarotzer hat sie so nachhaltig verletzt, dass sie stirbt.

Und sie bleibt nicht der einzige Kollateralschaden im Entwicklungszyklus des Kleinen Leberegels. Denn an dem hervorgewürgten klebrigen Klumpen mit den Egellarven können Ameisen nicht vorbeikrabbeln. Nun ist der Leberegel nicht mehr zu bremsen: Mehrfach mutiert, kriecht er dem Insekt ins Gehirn und manipuliert es so, dass es den Ameisenhaufen vergisst, stattdessen auf den nächstbesten Halm krabbelt und sich dort festbeißt - bis ein Grasfresser vorbeikommt und sich gütlich tut. In dessen Leber kann die Larve dann ausreifen, zum Wurm werden, sich paaren. Und von vorn anfangen.

Die Saugwürmer kommen überall vor, wo ihre Wirtstiere zusammenleben. Bei Untersuchungen in der Schweiz und in Bayern zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der überprüften Rinderherden infiziert waren. Der Befall wird aber im Alltag leicht übersehen, weil die Symptome so unspezifisch sind: Die Tiere wachsen schlechter, geben weniger Milch und pflanzen sich langsamer fort. Oft bemerken erst die Fleischbeschauer im Schlachthof die Würmer.

Vorbeugung ist also das Beste: Eine Trockenlegung der Wiesen und eine hygienische Wasserversorgung aus Tränken mindern das Infektionsrisiko. Sonst helfen nur chemotherapeutische Methoden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!