"Kommissarische Reichsregierungen": Gefährliche Irre
Bundesweit gibt es mehrere "kommissarische Reichsregierungen", die so tun, als bewahrten sie das Erbe Preußens - tatsächlich stecken sie mit der NPD unter einer Decke.
Eine vom Herausgeber der rechtsextremen Zeitschrift Der Reichsbote angeführte Gruppierung, die mit dem bekannten Thüringer Rechtsextremen Christian Bärthel in Verbindung steht, wirbt in Nordrhein-Westfalen (NRW) mit Postwurfsendungen für eine "Borussia Rheinpreussen Partei". Hintergrund sind wohl die NRW-Kommunalwahl und die Europawahl im kommenden Jahr.
Bei den für Wahlen zuständigen Behörden ist eine "Borussia Rheinpreussen Partei" bisher nicht bekannt - und noch bei keiner vergangenen Wahl zur Wahl angetreten. "Sich nun als Partei zu gerieren, wäre eine neue Masche der kommissarischen Reichsregierungen", so Carola Holzberg vom Innenministerium NRW.
Hinter der Flugblattaktion steckt eine Gruppierung mit dem Namen "Freistaat Preußen". Diese ist Teil der sogenannten kommissarischen Reichsregierungen (KRR). Die KRR sind bundesweit versplitterte Gruppierungen, die an einen Fortbestand des Deutschen Reichs glauben und die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich nicht anerkennen. Die Geschichtsrevisionisten haben selbst ernannte "Reichsregierungen" und stellen sogar eigene Ausweise aus. Die KRR werden oft als Splittergruppierungen ohne jeglichen Einfluss belächelt - der Alliierte Kontrollrat hat Preußen am 25. Februar 1947 per Dekret aufgelöst. Die KRR treten jedoch immer häufiger in der Öffentlichkeit auf.
Unter dem Slogan "Machen Sie von Ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch!" ist auf den Flugblättern ein Musterwahlzettel abgebildet, auf der eine "Borussia Rheinpreussen Partei" mit einer Wahlkandidatin "Sabine Musterfrau, Freie Bürgerin des Staates Preußen" angegeben ist. Darüber ist eine Karte Preußens mit den Grenzen von 1937 abgebildet. Auf dem Flugblatt wird auf die Internetadresse staatpreussen.com hingewiesen.
Dort heißt es unter anderem: "Der Staat Preußen ist der Führende, Souveräne und Herrschende Gliedstaat im Deutschen Reich und besteht völkerrechtlich fort." Weiter wird behauptet: "Die Bundesrepublik Deutschland ist weder ein Staat, und diese Verwaltungseinrichtung der Alliierten hat keine Verfassung, und sie hat kein Volk!"
Die hinter dem Flugblatt stehende Gruppierung "Freistaat Preußen" wurde 1997 von Rigolf Hennig, dem Herausgeber der rechtsextremen Zeitschrift Der Reichsbote (Untertitel: "Anzeiger des Freistaates Preußen"), mit Hennig als "Staatspräsidenten" ausgerufen. Der 71-Jährige wurde im Dezember 2005 für Äußerungen in einer Zeitschrift wegen Verunglimpfung des Staates vom Landgericht Lüneburg zu einer Haftstrafe von neun Monaten ohne Bewährung verurteilt. Auf der auf dem Flugblatt angegebenen Seite "staatpreussen.com" wird der bekannte Thüringer Rechtsextreme Christian Bärthel als "kommissarische Reichsregierung" angegebenen. Der 33-Jährige ist einer der bekanntesten Vertreter der KRR. Bärthel, Mitarbeiter der sächsischen NPD-Landtagsfraktion und des NPD-Kreisverbandes Zwickau, wurde erst im Oktober 2007 vom Landgericht Gera wegen Volksverhetzung und anderer Straftatbestände zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe und 150 Sozialstunden verurteilt.
Nach taz-Recherchen werden die Aktivitäten Bärthels von Reichsbote-Herausgeber Hennig finanziell unterstützt. Bärthel, Hennig und andere Vertreter des "Freistaates Preußen" sind einander von Aktivitäten der verschiedenen KRR bekannt und trafen bei Tagungen der rechtsextremen Szene zusammen. Die Verteilung von Flugblättern bei dieser und anderen Aktionen übernehmen über das gesamte Bundesgebiet verstreute Einzelpersonen und Gruppen von Rechtsextremen, die nicht immer mit Wissen und im Auftrag der Führung der jeweiligen KRR agieren.
Da die Einreichung der Wahlvorschläge für die Europa- und Kommunalwahl noch nicht begonnen hat, ist nicht auszuschließen, dass die Gruppierung, die nun unter dem Namen "Borussia Rheinpreussen Partei" auftritt, auch an den Wahlen in Nordrhein-Westfalen teilnehmen wird. Bärthel trat im Mai 2006 als Einzelkandidat bei der Wahl des Ronneburger Bürgermeisters an.
Auch in der baden-württembergischen Kleinstadt Besigheim bewarb er sich bei der Wahl am 27. Januar 2008 als Bürgermeisterkandidat an. Und erreichte auf Anhieb 2,6 Prozent der Stimmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher