piwik no script img

Radio als Schau- und KlangbühneEchokammer der Gemeinschaft

Kommentar von Annette Brüggemann

Eine bildtönende Geschichte, was soll das sein? Mario Angelo und Katja Teubner wissen mit ihren "schallillustrierten Erzählungen" die Antwort.

W as sind eigentlich schallillustrierte Erzählungen? Das wusste ich auch nicht, bevor ich sie zum ersten Mal gehört habe. Heute kann ich damit nicht mehr aufhören. Dabei gibt es bisher "nur" vier Folgen in Form von elegant verpackten CDs. Schon allein ihre Titel sind hitverdächtig: "Lügen Lernen. Wer möchte schon ich sein?", "Ich versteh dich nicht! Ich mich auch nicht! Aus den Einbahnstraßen der Verständigung", "Identitäter oder: Ich und kein Ende", "Die Zeit heilt alle Wunder. Erinnerungsvirtuosen und andere Gedächtnisbeschwerer".

Ihr Autor, Mario Angelo, ist ein Schriftsteller ohne Bücher, wie er selbst sagt. Er schreibt fürs Radio und nennt seine Texte "bildtönende Geschichten" oder "schallillustrierte Erzählungen". Produziert hat er seine Erzählungen zusammen mit Katja Teubner, Sounddesignerin, Regisseurin und Toningenieurin mit eigener Werkstatt in Köln, der "AudioSuite". Die beiden arbeiten seit Jahrzehnten fürs Radio und haben schon einige Preise gewonnen, darunter den höchsten Radiopreis überhaupt, den "Radio Oscar" in New York. Ihre Philosophie: "Das Radio schüttet Hormone aus, Glück und Melancholie, es hat Herzrasen und Nervenschwäche, es haucht und schreit, es ist hypermotorisch und gelassen, es träumt und trauert - und euphorisiert."

Mario Angelo und Katja Teubner haben das Radio zur Schau- und Klangbühne erklärt. Und folgen dabei einem Diktum Marshall McLuhans, der meinte, das Radio habe die Macht, die Seele und die Gemeinschaft in eine einzige Echokammer zu verwandeln. Skurrile kleine Geschichten bevölkern jede Folge. Da gibt es Bilder und Szenen aus dem einzigen Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können: der Erinnerung - die gleichzeitig die einzige Hölle ist, in die wir schuldlos verdammt sind.

Wir begegnen Identitätssuchern, merkwürdigen Charakterdieben und einem Allzweckmenschen, der mit unüberhörbarer Teilzeitpersönlichkeit zum Weltstar wird. Und aus den Einbahnstraßen der Verständigung tönt es, jenseits aller Platitüden: "Nicht bloß all die anderen sind Nachbarn. Jeder Mensch ist selber Nachbar." Ein Dramaturg ist zu feige, den infamen Illusionen seines Direktors zu widersprechen. Ein US-Verteidigungsminister erklärt das Nichtwissen zur Basis seines Handelns. "Seelen- und Körpersimulationen des Medienbetriebs, der Politik und der Medien, treffen auf die Innen- und Außenwelten einer flexiblen Wirklichkeit, offen für jede denkbare Wahrnehmung", heißt es da ganz ungeniert im CD-Booklet.

Unvereinbar sind diese Welten, weil Mario Angelo und Katja Teubner ihnen ihr gutes Recht lassen, unvereinbar zu sein, ohne Kitsch und Kommerz. Ob sie damit der Wirklichkeit näher kommen, bleibt den Hörerinnen und Hörern überlassen, die auf eine fantastische Reise gehen. Oder haben Sie schon mal von einem "Diskriminator" gehört? Der kommentiert alles mit einer altklugen Mädchenstimme, die sowohl Angela Merkel als auch George Bush die Schamröte ins Gesicht jagt. Denn auch diese raren, aus den Tiefen der Radioarchive gefischten politischen Stimmen gehören mit zum Programm.

Eilig produzierte Langeweile und Beliebigkeit werden nicht gewährt. Für Mario Angelo und Katja Teubner hat unsere Gabe des Hörens ihr Verhältnis zur Erfahrung verloren. Und deshalb laden sie ein, genauer, klarer und deutlicher hinzuhören. Das Material: Alle zur Verfügung stehenden Botenstoffe des Hörens - zwischen Herz und Kilohertz. Zärtliche Zwischentöne, humorvolle, clowneske Wortkaskaden und intelligente Parodien unserer Gegenwart.

Die schallillustrierten Erzählungen bieten einen philosophischen Blick auf die Welt, der ohne Pathos auskommt und zum Schmunzeln bringt. Dazu trägt auch die mit feinen Nuancen ausgestattete Sprecherstimme des am Schauspielhaus in Düsseldorf tätigen Markus Scheumann bei.

Diesen Satz aus der ersten schallillustrierten Erzählung werde ich vermutlich nicht mehr vergessen: "There are unknown unknowns - there are things we do not know we dont know." Wie beruhigend, dass es auch noch solche inhaltlich und handwerklich wohl ausgefeilte Produktionen im konsenslastigen Hörbuchmarkt gibt. Und umso mehr beruhigt es mich, dass jede Folge mit einem Zitat von good old Arnold Schwarzeneggers endet: "Danke vielmals. Ill be back!"

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!